Einfach gutes
Quarantäne-Essen.
Es sind unwirkliche Wochen, seit Corona ohne Rücksicht auf Verluste über den weltweiten Alltag hereingebrochen ist. Zur Hebung der Stimmung eignet sich Dosenfutter übrigens nur bedingt. Ich empfehle stattdessen einfache, selbstgemachte Gerichte aus Zutaten, die auch abseits angespannter Zeiten in der Vorratskammer liegen. Daraus entstehen dann Feinheiten wie diese Kartoffel-Tortilla.
Die Geschehnisse rund um Corona haben uns mit voller Wucht aus der Komfortzone hinaus geworfen – direkt hinein in eine staatlich verordnete Komfortzone namens Wohnzimmer-Couch. Da sitzen wir nun, reiben uns mit gut gewaschenen Händen die Augen und realisieren langsam, dass das Selbstverständnis jahrelanger Stabilität ins Wanken geraten ist. Unsere satte Gesellschaft wird auf die Probe gestellt.
Dabei erkennt man wieder, was in Zeiten des demokratiepolitischen Völlegefühls fast ein wenig in Vergessenheit geraten ist: Da gibt es stabile Institutionen mit unzähligen engagierten Menschen, die sich in schwierigen Zeiten für die Bevölkerung zerreißen. Da gibt es Leute aller politischen Lager, die sich solidarisch zeigen und das Gemeinwohl stärker in den Blick nehmen. Alltagshelden wie das Personal in Krankenhäusern oder unerschrockene Kassiererinnen im Supermarkt.
Respekt vor unserer Politik
Da gibt es Qualitäts-Zeitungen, die faktenbasiert und verantwortungsvoll schreiben, und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der in Ermangelung von Skirennen und Dancing Stars gerade in Krisenzeiten zeigen kann, warum es ihn unbedingt braucht (auch wenn ihn die Rechtspopulisten selbst dieser Tage lieber abschaffen würden, siehe Link). Und da sind Regierungsvertreter, die zu Höchstform auflaufen, indem sie sachlich und lösungsorientiert agieren und erstaunliche Besonnenheit verkörpern – wie etwa Gesundheitsminister Rudolf Anschober. Schläft der gute Mann eigentlich auch irgendwann?
Wer fürchtet sich vom orangen Mann?
Ich will mir nicht vorstellen, von Donald Trump oder anderen Populisten regiert zu werden, die in dieser weltweit ernsthaften Situation auch noch Nationalismus verströmen; ein Virus, das noch gefährlicher ist, wie die Geschichte zeigt. Der orange Mann plaudert in bizarren Ansprachen von einem „ausländischen Virus“, den er selbstverständlich mühelos stoppen werde, und von einem alten Europa, das damit überfordert sei.
Ich möchte in diesen Zeiten jedenfalls nicht – wie rund 29 Millionen Amerikaner – ohne Krankenversicherung leben und am Ende noch mit Corona-Symptomen zur Arbeit gehen müssen, um ein Gehalt zu bekommen. Der gute, alte, europäische Sozialstaat ist ein Segen. Die Krise entlarvt die armseligen, politischen Schreihälse. Bleibt zu hoffen, dass sich die Wähler das bis zum Urnengang merken.
Es geht auch ohne Hamstern
Zurück nach Europa – wenn wir schon nicht mehr raus können, dann machen wir das Beste daraus. Mit der nötigen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Gelassenheit werden wir das Ding schon schaukeln. Offenbar hat die ununterbrochene Berichterstattung viele Menschen zu Hamsterkäufen angeregt. Wie ich selbst gesehen habe, hat sich selbst das Kühlregal mit Rindsfilet und Räucherlachs ordentlich geleert. Die Krise wird mancherorts auf luxuriöse Weise zelebriert.
Im Probelokal, das aufgrund seines Daseins als Online-Gasthaus von keinerlei behördlicher Sperre betroffen ist, setzen wir derzeit auf ganz einfache, preiswerte Gerichte. Mit Zutaten, die das ganze Jahr über in Kühlschrank und Vorratskammer warten und in dieser Kombination zu Höchstform auflaufen. Da braucht es weder Hamsterei noch Plünderung.
Es gibt Tortilla!
Dazu stellen Sie die Zutaten (siehe unten) bereit und heizen das Backrohr auf 140 Grad Umluft vor. Zwiebeln und Knoblauch werden geschält, fein gewürfelt und in einer ofenfesten Pfanne in Olivenöl bei mittlerer Temperatur angebraten. Inzwischen schälen Sie die Kartoffeln und schneiden sie mit einem Gemüsehobel in dünne Scheiben. Diese kommen nun mit einer Prise Salz in die Pfanne. Rühren Sie in den folgenden zehn Minuten immer wieder durch, damit nichts anbrennt. Ich würze gerne mit geräuchertem Paprikapulver, das ist aber kein Muss. Gehackte Kräuter sind für mich jedoch Pflicht.
Während die Kartoffelscheiben braten, verquirlen Sie die Eier und die Milch in einer Schüssel. Die Mischung gießen Sie nun über das gebratene Gemüse. Dann kommt die Pfanne in den Ofen, aber nicht, ohne vorher nochmals gesalzen und gepfeffert zu haben. Nach rund 15 Minuten sieht die Oberfläche herrlich gebräunt aus.
Ich hacke noch eine Frühlingszwiebel, um sie vor dem Servieren über die Tortilla rieseln zu lassen. Mit einem Schuss Olivenöl und nochmals etwas geräuchertem Paprikapulver vollende ich diese Pfanne der kleinen Glückseligkeit im angespannten Corona-Alltag.
Als Beilage serviere ich ein knuspriges Knoblauchbrot. Dazu röste ich Brotscheiben in einer Grillpfanne ohne Öl an. Die Scheiben bepinsle ich mit einer Mischung aus Olivenöl, Salz, Pfeffer und einem Teelöffel der Knoblauchpaste, die ich Ihnen vor einigen Monaten vorgestellt habe. Ich habe gerade das letzte Gläschen geöffnet und freue mich auf frischen Knoblauch.
Beim Nachbarn kaufen
Das werden noch spannende Wochen. Ich freue mich auf die Zeit danach – es wird vieles anders sein. Eine Bitte an Sie, liebe Leserin und lieber Leser: Bitte besuchen Sie dann wieder Konzerte, Ausstellungen, Vorträge, Kurse oder Messen. Unterstützen Sie das Geschäft nebenan. Denn im Gegensatz zu früheren Finanzkrisen spüren gerade die kleinen, regionalen Betriebe die Auswirkungen der Krise massiv. Hier leidet kein gieriger Finanzkonzern, hier leidet Ihr Nachbar – der Friseur, die Hotelbetreiberin, der Wirt oder die Buchhändlerin. Gedulden Sie sich einige Tage und kaufen Sie dann direkt dort. Da wird jeder Euro dringender benötigt, als bei Amazon und Co.
Musik gehört dazu
Am Ende verrate ich Ihnen fünf Songs, die mir beim Nachdenken über die Situation spontan eingefallen sind: Als ich den Allgäuer Musiker Rainer von Vielen einmal im Vorprogramm eines Konzertes erlebt habe, sang er den eindrucksvollen Titel „Die Wahrheit ist ein Virus“. Eine meiner Lieblingsbands, Calexico, bläst den Viren beim Titel „Corona“ mit ihren Mariachi-Trompeten kräftig den Marsch. Coldplay rät uns bei „Don’t Panic“, trotz der Aufregung besonnen zu bleiben. Bei einem meiner Allzeit-Lieblingslieder, „Enjoy The Silence“ von Depeche Mode, liegt die Empfehlung für die verordnete Ruhepause schon im Namen. Und ganz viel Trost in mühsamen Zeiten liegt im Titel „Es kommt wieder a Sommer“ der steirischen Kultband STS. Sie singen, was auch in diesen Tagen gilt: Alles wird gut.
Zutaten:
Tortilla: 700 Gramm festkochende Kartoffeln, 5 Eier, 250 Milliliter Milch, 2 kleine Zwiebeln, 2 Knoblauchzehen, übriges Gemüse (zB Fenchel), Salz, Pfeffer, geräuchertes Paprikapulver, Olivenöl, evtl. Kräuter
Knoblauchbrot: 4 Scheiben Brot – gerne vom Vortag!, 2 Knoblauchzehen, ein paar Esslöffel Olivenöl, etwas Pfeffer und Salz
Musik:
„Die Wahrheit ist ein Virus“ von Rainer von Vielen, Album Rainer von Vielen aus dem Jahr 2005
„Corona” von Calexico, Album Convict Pool aus dem Jahr 2004
„Don’t Panic“ von Coldplay, Album Parachutes aus dem Jahr 1999
„Enjoy The Silence” von Depeche Mode, Album „Violator” aus dem Jahr 1990
„Es kommt wieder a Sommer“ von STS, Album „Jeder Tag zählt“ aus dem Jahr 1990
Bin so froh, nach all den schlechten Nachrichten, Mutmachendes lesen zu können.
Vielen Dank Daniel 🙏
Freu mich darauf, es morgen zu kochen, werd viel Bärlauch pflücken, weil ich keine Frühlingszwiebeln „gehamstert“ hab.