Orangen-Zauber und Jänner-Blues.

Ich habe es wieder nicht geschafft. Schon wieder wollte ich am Marktstand mit den herrlichen Orangen, Zitronen und Mandarinen vorbei laufen. Und wieder bin ich stehen geblieben und mit einer Tasche voller Zitrusfrüchten ins Probelokal heimgekehrt. Heute verarbeiten wir sie quasi mit Haut und Haar. Oder wie es neudeutsch heißt: „From nose to tail“. Der Wochenmarkt nahe des Probelokals gibt derzeit ein tristes Bild ab: Nur vereinzelte, unentwegte Bauern, Bäcker und Marktfahrer frieren sich für die überschaubare Kundschaft die Zehen ab. Vor den Feiertagen sah das noch anders aus, da standen Hobbyköche um Lachs, Rindsfilet und Weihnachtsgänse Schlange. Nun, da die Feierlaune dahin ist und das Völlegefühl eingekehrt, bleiben nur die Hartgesottenen übrig. Und zwar auf Seiten der Anbieter und der Nachfrager. Zu Ersteren zählt eine junge Dame, die Bio-Gemüse und Obst aus Andalusien verkauft. Sie steht bei Wind und Wetter an ihrem Platz. An ihrem Stand komme ich einfach nicht vorbei, ohne einzukaufen. Das liegt an den saftigen, süßen und unbehandelten Bio-Zitrusfrüchten. Sie scheinen mir zuzurufen, wie das singende Obst in der Muppet-Show: Bleib stehen, nimm uns mit! Also gut. Noch vor kurzem sonnten sie sich im Süden, nun stapeln sie sich in der Vorarlberger Winterkälte. Und bald im Vorratsraum des Probelokals. Zitrusfrüchte in Hülle und Fülle Dort angekommen merke ich, dass ich schon letzte Woche einen Sack voller Zitrusfrüchte nach Hause geschleppt habe. Eine Orange hat bereits Schimmel angesetzt und wandert auf den Komposthaufen. Der Rest muss verarbeitet werden, ehe ihn dasselbe Schicksal ereilt. Da fallen mir zwei Orangen-Rezepte aus meiner ewigen Kochmappe ein, die auf einfachste Weise das Beste aus den Früchten herausholen. Verwertet werden nämlich Hülle wie Fülle, die fein-aromatische Schale und das saftige Fruchtfleisch. Das erinnert mich an den Trend aus der Fleischverarbeitung: „From nose to tail“ – von der Nase bis zum Schwanz. Das ist die vernünftige, wenngleich manchmal auch gewöhnungsbedürftige Tendenz, ein geschlachtetes Tier zur Gänze zu verwerten. Wenn schon, denn schon. Das gilt heute auch für die Orangen. Aus der Schale bereiten wir einen hoch aromatischen Sirup zu, der für den ganzen Winter die Versorgung mit feiner Orangen-Limonade in Bio-Qualität sicherstellt. Die Zubereitung könnte nicht einfacher sein. Treue Leser/innen erinnern sich bestimmt an die sommerliche Geschichte von der Zitruslimonade – genau, und heute gibt es die Orangen-Version davon.
Nur die äußerste Schale der natürlich ungespritzten Orangen wird fein abgerieben
Fanta, adieu! Ich wasche die Orangen mit warmem Wasser ab und trockne sie. Dann reibe ich die äußere, fein duftende, orangene Schale in eine große Schüssel. Die Zitronensäure löse ich in einem Messbecher mit dem Wasser auf und gieße es über den Orangen-Abrieb. Dazu leere ich den Zucker. Die Mischung wird gut durchgerührt, abgedeckt und an einem kühlen Plätzchen gelagert. Das kann der Kühlschrank sein, an Wintertagen wie diesen bieten sich auch Terrasse oder Balkon an. Dann wird alle paar Stunden einmal durchgerührt, bis sich nach zwei bis drei Tagen der Zucker aufgelöst hat. Der Orangensirup wird nun durch ein feines Sieb in Flaschen abgefüllt. Fertig – so einfach ist das! Aufgegossen mit Mineralwasser entsteht herrliche Orangen-Limonade. Die Fanta-Macher haben mit der hausgemachten Konkurrenz keine Freude. Aber Sie! Denn Sie sparen eine Menge Geld, entscheiden über die Qualität der Inhaltsstoffe und haben auch noch das Gefühl, plötzlich Inhaber einer hippen Limonaden-Manufaktur zu sein.
Der Vorrat für den Winter ist somit angelegt
Einfache, aber hochklassige Filets Nachdem die Haut verwertet ist, geht es nun an die Innereien. Aus dem Fruchtfleisch zaubern wir das Feinste, das ich von der Orange kenne. Nämlich Filets, die sich über Nacht verzaubern. Die Idee habe ich vor zwei Jahren im „Falter“ entdeckt. In dieser empfehlenswerten Wochenzeitung erscheint nicht nur kritischer Politik-Journalismus (ja, so etwas gibt es in Österreich auch noch!), sondern stets eine inspirierende Seite über das Essen und Trinken. Die sirupbedingt abgeriebenen Orangen werden vollständig geschält und filetiert – Sie kennen das vielleicht von der Obstsalat-Rezeptgeschichte des vergangenen Sommers. Mit einem scharfen Messer schneiden Sie die verbliebene Schale mitsamt der weißen Innenhaut weg. Dann lösen Sie entlang der Innenhaut die Orangen-Schnitze heraus. Mit etwas Übung geht das mit der Zeit flott. Als Belohnung erhalten Sie feine Filets ohne zähe und bittere Haut. Diese Schnitze wandern nun in eine Schale.
Sieht aus wie Pacman, ist aber eine Orange, aus der die Filets herausgeschnitten werden
Dazu pressen Sie die beim Filetieren übrig gebliebenen Orangenreste und den Saft einer weiteren Orange. Zur Krönung kommen die geriebene Schale und der Saft einer Bio-Zitrone darüber. Zu guter Letzt auch noch der Rohrzucker. Mischen Sie alles gut durch und decken Sie die Schale ab. In der kalten Winternacht geschieht auf der Terrasse oder im Kühlschrank ein kleines Wunder. Die Physiker nennen es „Mazeration“ – ein Ausgangsstoff (hier: Orangenfilets) wird unter Einwirkung einer aromatisierten Flüssigkeit (hier: Zitrussaft, Schale und Zucker) verändert. In diesem Fall regelrecht verzaubert! Sie können die Orangenfilets am nächsten Tag pur genießen und sich über den fantastischen Geschmack freuen. Ein Schuss Grand Marnier oder feines Schokoladen-Mousse würden natürlich gut dazu passen – aber das ersparen wir dem prall gefüllten, vom Genießen arg geschundenen Feiertagsbauch für eine Weile. Stattdessen garniere ich den Vitamin-Genuss mit feiner Musik, die ich über die Feiertage wieder entdeckt habe.
So schnell lassen wir Weihnachten nicht ziehen – hoch leben die Sterne!
Harry Manx spielt den Jänner-Blues Die Zufalls-Funktion meiner Winter-Playlist zauberte nämlich das Album „Isle of Manx“ aus der Versenkung hervor. Dort ruhte es ein paar Jahre, nachdem es nach dem Erscheinen im Jahr 2010 noch auf und ab gelaufen ist. Und der Blues passt gerade gut, wenn die Sternsinger dieser Tage nicht nur die frohe Botschaft verkünden, sondern auch das Ende der stets geschätzten und wie immer zu kurzen Weihnachtsferien. Das wunderbare Album stammt von Harry Manx, einem 63jährigen Musiker, der auf der britischen „Isle of Man“ geboren wurde und mit seinen Eltern nach Ontario ausgewandert ist. In Kanada hat er 2005 den Folk-Music-Award gewonnen. Harry Manx mischt Blues, Volksmusik und klassischen Hindustani-Sound zusammen, Letzteres ist eine traditionelle Musik aus dem nördlichen Indien. Kostproben der kontinentübergreifenden Klänge hören Sie bei „Coat Of Mail“ oder sehen Sie beim JJ-Cale-Cover Tijuana. Damit entsteht eine ähnlich raffinierte Mischung wie mit Orangen, Zitronen und Rohrzucker. Und während Sie die mazerierten Orangenfilets genießen, können Sie sich an Harry Manx‘ Slide-Gitarre, seiner Mundharmonika, dem sechsseitigen Banjo, dem indischen Zupfintstrument „Mohan Veena“ und seiner Stomp-Box erfreuen. Ein leichter, energiereicher Start ins neue Jahr ist damit garantiert! Zutaten: Sirup für Orangen-Limonade: 6 Bio-Orangen, 50 Gramm Zitronensäure, 2 Kilogramm Rohrzucker, 1,5 Liter Wasser Mazerierte Orangen: 7 Bio-Orangen (6 für die Filets, 1 für den Saft), 1 Bio-Zitrone, 2 Esslöffel Rohrzucker Musik: Album „Isle Of Manx“ aus dem Jahr 2010 von Harry Manx, Label „Dog My Cat Records”, https://harrymanx.com/  

Post Author: Dan

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