It’s the dressing, stupid.
Jahrelang machte ich einen Bogen um die Salatbuffets dieser Welt. Das hat sich geändert – dank feinem Gemüse, gehaltvollen Dressings und inspirierender Musik!
Bis zu meinem 15. Lebensjahr aß ich keinen Salat. Ich wäre mir dabei vorgekommen, wie eine Kuh auf der Wiese. Erst, als ich mich beim Fußballspielen verletzte und im Krankenhaus landete, stocherte ich eines Mittags höflichkeitshalber in einem Schüsselchen mit Blattsalaten herum. Man will ja nicht undankbar sein, schließlich wurde einem eben der Knöchel fachgerecht zusammen geschustert. Das Geschmackserlebnis hielt sich in Grenzen.
Doch das Salatessen erlebt einen richtigen Hype. Offenbar liebt jeder die grünen Blätter. Doch immer dann, wenn alle von etwas begeistert sind, dann werde ich misstrauisch. Egal, ob es um Salat, Fidget Spinner (kennen Sie sie noch?) oder Regierungschefs geht.
Vielleicht liegt die allgemeine Salat-Euphorie daran, dass dahinter in Wahrheit eine Sehnsucht nach Gewichtsreduktion liegt. Die führt in den meisten Fällen gnadenlos zur Genussreduktion, und dann ist das kulinarische Elend komplett. Lieber Freude am Genuss, als wenige Kilos und Verdruss.
Fitnessteller
An die Spitze getrieben haben das Salat-Fieber seit den 90ern viele Gasthäuser, die unter dem Begriff „Fitnessteller“ geschmacklose Blätter aus spanischen Salat-Gewächshäusern auf einen Teller schichten, darüber weiße Salat-Fertigsauce gießen und mit schal schmeckenden Turbo-Brüsten von der fragwürdigen Pute belegen.
Wäre mir bei einem romantischen Dinner jemals eine Dame gegenüber gesessen, die sich statt eines anständigen Menüs solch einen Fitnessteller bestellt hätte, dann hätte ich wohl aus Protest das Lokal verlassen. Und die Holde gleich mit dazu. Zum Glück ist mir das nie widerfahren.
Salat-Erkenntnis
Doch irgendwann gelangt jeder Mensch zu ein wenig Erkenntnis. Sei es auch nur die Salat-Erkenntnis. Bei mir trat sie ein, als ich zweierlei feststellte: Erstens, dass ein Salat erst fein wird, wenn er hauptsächlich aus Gemüse besteht, etwa Käferbohnen, Mais, Blumenkohl oder gebratenen Champignons. Und zweitens, dass es schlichtweg um die Marinade geht – das Öl, die Säure, die Süße und die Gewürze. Frei nach Bill Clinton: „It’s the dressing, stupid!“
Ja, es sind die einfachen Dinge, auf die es ankommt. Auch im Probelokal. Aber leider bin ich nicht der erste Mensch, der auf diese Idee kommt. Einmal las ich im ZEIT-Magazin einen Artikel über den Regisseur Francis Ford Coppola, der in Italien ein kleines Hotel eröffnete. Für ihn sei dieses Hotel wie eine Show, sagte er – und wie für jede Show brauche es eine große Idee und dann extreme Aufmerksamkeit fürs Detail, denn über die Details nehme das Publikum die Idee wahr.
Die Idee eines ordentlichen Frühlingssalates entwickelt sich also nur dann zum großen Fest, wenn die Details höchste Aufmerksamkeit bekommen. Also die Zutaten des Dressings: Hochwertige Öle, etwas Saures und Süßes und manchmal feine Kräuter. Ich will Ihnen heute meine aktuellen Lieblings-Marinaden vorstellen. Sie passen zu allen Gemüsesorten und Blattsalaten, die ich kenne. Ich bin momentan im Dressing-Fieber und probiere jede Woche eine neue Variante aus.
Mein großer Favorit ist derzeit ein einfaches Dressing aus Olivenöl und Zitronensaft. Dazu verschlage ich mit einer Gabel einen halben Teelöffel Salz mit drei Esslöffeln frisch gepresstem Zitronensaft, bis sich das Salz auflöst. Apropos Salz: Einmal fragte ich Wolfgang Ponier, Spitzenkoch und mitreißender Küchen-Mentor, welches Salz er empfehle.
Er meinte, dass unbehandeltes Ursalz aus den Tiefen unserer Berge die beste Wahl sei, da es seit ewigen Zeiten ohne negative Umwelteinflüsse lagern konnte. Im Gegensatz zum frisch gewonnenen Salz unserer teils mitgenommenen Meere. Das leuchtete mir ein. Seither werde ich das Bild verschwitzter Touristen nicht mehr los, die sich gleich neben Salzgewinnungsanlagen an Spaniens Stränden abkühlen. Inzwischen hat das Ursalz die Pole Position in der Küche des Probelokals.
Zur Zitronen-Salz-Mischung kommen nun ein paar Prisen frisch gemahlenen Pfeffers und fünf Esslöffel Olivenöl. Dann wird gut verrührt. Je nach Lust und Laune können Sie das Mischverhältnis leicht ändern – manche Gäste lieben die Säure, manche schätzen die milde Öl-Dominanz. Sie können noch ein paar frisch gehackte Kräuter darunter mischen, ich favorisiere Oregano.
Kürzlich ersetzte ich den Zitronensaft durch „Verjus“, den sauren Saft unreifer Trauben. Ein ehemaliger Arbeitskollege empfahl ihn mir als eisgekühlten, alkoholfreien Aperitif. Ich verwende Verjus aber lieber als Bestandteil eines feinen Dressings. Er ist eleganter und milder als Essig und eine Abwechslung zum Zitronensaft.
Mein Standard-Dressing ist ein wenig komplexer, denn es enthält zwei Ölsorten, etwas Honig, Senf und etwas Suppe (siehe Zutaten). Dazu mische ich alle Bestandteile in einer hohen Rührschüssel und verwandle sie mit dem Stabmixer in eine feine Salatsauce. Manchmal mixe ich noch ein halbes hartgekochtes Ei dazu, das bietet sich im Zuge der Ostereier-Verwertung an.
Bitte bleiben Sie flexibel: Es ist kein Problem, wenn Sie auf die Suppe verzichten. Oder nur eine Sorte Öl verwenden. Sie können ein Stück Frühlingszwiebel dazu mixen. Oder den Knoblauch weglassen, wenn Sie nach dem Salatgenuss noch jemandem nahe treten wollen. Probieren Sie alles aus! Vielleicht fehlt noch Salz, vielleicht ist die Sauce zu sauer – Sie können korrigieren, nochmals durchmixen und wieder probieren.
Es entsteht eine feine, cremige Salatsauce, die ich in einer Schüssel auf den Tisch stelle. Dazu serviere ich die Salate, die nun jeder Gast selbst marinieren kann. Wie beim Salatbuffet im Restaurant. Bleibt noch die Frage, welche Salate auf den Teller kommen, bevor die Sauce zur Krönung schreitet. Wie erwähnt: Für mich bilden Gemüsesalate die Basis. Momentan liebe ich folgende Sorten:
- Brokkoli: Brokkoli-Kopf in kleine Röschen und Strunk in Scheiben schneiden, in Salzwasser eine Minute kochen und abtropfen lassen. Schmeckt am besten mit gebratenen Schinkenspeck-Streifen!
- Karotten, Fenchel oder Paprika: In Würfel oder Scheiben schneiden und in einer Pfanne in etwas Öl scharf anbraten – mit etwas Balsamico-Essig ablöschen und mit etwas Salz, Pfeffer und einer Prise Currypulver würzen.
- Champignons: Putzen, in Scheiben schneiden und in etwas Butter scharf anbraten, mit etwas Zitronensaft, Salz und Pfeffer würzen.
- Radieschen: Putzen und in Scheiben schneiden.
- Kartoffel-Würfel: Speckige Kartoffeln in Salzwasser weichkochen, auskühlen lassen, schälen, in Würfel schneiden und bei mittlerer Hitze goldbraun braten.
- Spitzkraut: Siehe Krautsalat
Es gibt viele weitere Gemüsesorten, um den Übergang vom Winter zum Sommer zu zelebrieren. Schmeißen Sie alles nach Lust und Laune zusammen, es wird herrlich schmecken! In der Zeit-Not tut es übrigens auch eine Dose Mais oder Bohnen.
Über dem gewichtigen Gemüse machen sich leichte Blattsalate der Saison breit. Und geröstete Kürbis- oder Sonnenblumenkerne. Außerdem bin ich fast süchtig nach gehackten Chilischoten. Auch Brotcroutons sind herrlich – dazu rösten Sie zunächst in einer trockenen Pfanne die Würfel leicht altbackenen Brotes an (am besten mit einer Knoblauchzehe!). Dann kommt ein Schuss Rapsöl dazu.
Gemüsesalate können schon vor dem Servieren mariniert werden. Blattsalate erst in letzter Sekunde. Auf diese Weise macht der Salat Spaß. Vor allem, wenn noch ein paar Scheiben frisches Brot dazu serviert werden, mit dem jeder Tropfen Dressing aufgetunkt werden kann. Reste des Dressings wandern in einem gut verschlossenen Glas in den Kühlschrank. Sie können an den Folgetagen problemlos verwendet werden.
Feine Begleitmusik aus dem Rheingau
Halt – fast hätte ich die Begleitmusik vergessen! Sie stammt nämlich vom Liedermacher mit dem klingendsten Namen meines Musikarchivs. Und zwar vom 40jährigen Gisbert zu Knyphausen. Seine Musik strotzt nur so vor Melancholie und Hoffnung, und die Texte sind sehr feinsinnig und persönlich.
Sein erstes Album aus dem Jahr 2008 begeistert mich immer wieder aufs Neue, im Frühling besonders der druckvolle Titel „Erwischt“ oder das akustische „Verschwende Deine Zeit“.
Erst vor gut einem Jahr erschien Knyphausens letztes Album. Und im gleichnamigen Titel „Licht dieser Welt“ verströmt er ein großes Stück Hoffnung: „Denk immer dran, selbst wenn das Unglück dieser Welt nur auf deine Schultern fällt – ein neuer Tag wartet schon auf Dich, am Ende jeder noch so langen Nacht.“
Nebenbei sei erwähnt, dass Gisbert zu Knyphausen aus dem Weinbaugebiet Rheingau stammt – seine Familie besitzt dort einen Gutshof, der feine Weine produziert. Und ja, so ein fein-kühler Riesling würde natürlich bestens zu einem feinen, frühlingshaften Salatteller passen. Zum Wohl!
Zutaten:
Blattsalate und Gemüse nach Saison und Appetit.
Olivenöl-Zitronen-Dressing: 1/2 Teelöffel Salz, ein paar Prisen Pfeffer, drei Esslöffel Zitronensaft, fünf Esslöffel Olivenöl – dazu nach Lust und Laune ein paar frisch gehackte Kräuter (zB Oregano, Schnittlauch oder Petersilie)
Verjus-Dressing: Zitronensaft durch Verjus ersetzen.
Probelokal-Dressing: 1/2 Teelöffel Honig, 1/2 Teelöffel Senf, 4 Esslöffel Weißweinessig, 4 Esslöffel Suppe (klare Gemüse-, Hühner- oder Rindssuppe) 4 Esslöffel neutrales Öl (zB Rapsöl), 2 Esslöffel geschmackgebendes Öl (zB kräftiges Olivenöl oder Walnussöl), 1 Knoblauchzehe, 1/2 Teelöffel Salz, ein paar Prisen Pfeffer, ein Esslöffel Kräuter der Saison (zB Oregano, Basilikum, Schnittlauch), gerne noch 1/2 hartgekochtes Ei
Dressing-Tipps aus früheren Rezeptgeschichten:
Kernöl-Dressing (hier zu Käferbohnensalat)
Sherry-Essig-Dressing (hier zu Linsensalat)
Musik:
Gisbert zu Knyphausen, Alben „Gisbert zu Knyphausen“ aus dem Jahr 2008 und „Licht dieser Welt“ aus dem Jahr 2017, beide im Label Pias Germany, www.gisbertzuknyphausen.de
Lesetipp:
Ein Artikel von Christine Meffert aus dem ZEIT-Magazin vor fast genau sieben Jahren: https://www.zeit.de/2012/13/Italien-Hotel-Coppola/komplettansicht
Hallo Dan,
wenn ich deine Rezepte lese, rinnt mir das Wasser im Mund
zusammen. Die Salate sind Weltklasse und würden jedem
feinen Restaurant zur Ehre gereichen.
Super, weiter so:
M.u.P.
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