Man muss die Feste feiern –
auch wenn die Regierungen fallen.
Kürzlich wurde das einjährige Jubiläum des Probelokals gefeiert. Sechs mutige Gäste aus der Stammleserschaft machten aus dem Online-Gasthaus für einen Abend einen echten Begegnungsort. Es wurde gegessen, getrunken und politisiert. Das führte soweit, dass sich die illustre Schar nach dem Dessert sogar auf eine Experten-Regierung einigte.
Über Politik soll an geselligen Abenden nicht gesprochen werden, heißt es. Sie zerstöre die gute Stimmung. Doch was, wenn das Probelokal-Jubiläum ausgerechnet an einem innenpolitisch historischen Tag stattfindet? So geschehen am 30. Mai.
Zwei Stunden vor Beginn des Festmenüs wurde bekannt, dass die Verfassungsrichterin Brigitte Bierlein vom Bundespräsidenten zur Übergangskanzlerin ernannt werden solle. Die erste Kanzlerin in der Geschichte der Republik – und das zum Geburtstag des Probelokals!
Klar, dass an diesem Abend politisiert wurde. Themen gibt es gerade genug: Ibiza-Gate, der Kurz-Kanzler und die Tatsache, dass uns die Bedeutung eines stil- und verfassungssicheren Bundespräsidenten erst jetzt bewusst wird. Jede Menge Stoff für einen bunten Abend im Probelokal.
Sechs Gäste mit Mut und Neugier
Letzteres ist für das Dasein im Netz ausgerichtet. Es hat daher auch keine Öffnungszeiten. Nur in ganz seltenen Fällen wird es auf Einladung „live“ – so etwa kürzlich, als sechs Gäste zum einjährigen Jubiläum des Probelokals zukehrten. Sie wurden aus dem Kreis der Interessenten ausgelost.
Der Besuch des Abends erforderte Neugier und Mut. Denn die Gäste wussten nicht, was auf der Menükarte steht. Und auch nicht, mit wem sie es zu tun bekommen sollten. Dann öffnete sich die Tür: Eva-Maria, Ingrid, Markus, Peter, Reinhard und Valentin traten ein. Völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, interessant, engagiert und humorvoll. Beim Blick zum Tisch des Probelokals bestätigte sich die Vermutung, dass die Seite probelokal.com nur von anständigen Menschen gelesen wird – Trolle und Ungustln tummeln sich offenbar auf anderen Pages.
Zuerst wurden Hände geschüttelt. Mancher Gast schielte in die Menükarten. Dort stand, was es zur Vorspeise gibt: Nämlich ein kleines Stück vom gebratenen Saibling. Dazu getrocknete Kirschtomaten mit Krenmousse und ein wenig Spargel-Ragout. Der Koch hatte alle Hände voll zu tun und vergaß völlig auf das Fotografieren. Deshalb werden alle Rezepte des Abends demnächst nochmals nachgekocht und laufend für die gesamte Leserschaft vorgestellt.
Säuerlich und scharf: Die Morillon-Schaumsuppe
Nur das Suppenrezept gibt es schon heute. Die Zutaten finden Sie wie immer am Ende des Textes. Ich hackte das Gemüse, schwitzte es in Butter glasig an, stäubte mit etwas Mehl und schreckte mit dem Weißwein ab. Ich verwendete feinen Morillon aus dem Landesweingut Silberberg im südsteirischen Leibnitz. Andernorts wird er auch Chardonnay genannt. Ein wunderbarer, fruchtig-würziger Wein.
Als der Weißwein zu kochen begann, goss ich die Suppe dazu und ließ die Mischung eine halbe Stunde leicht simmern. Dann verfeinerte ich mit Rahm, mixte mit dem Pürierstab und passierte die Suppe durch ein feines Sieb in einen anderen Topf. Dort hielt ich die Suppe warm, würzte und schäumte mit dem Pürierstab kurz vor dem Servieren nochmals auf. Sonst wäre es ja keine Schaumsuppe.
Ein Haufen goldener Grießknödel
Als Hauptgang wurde ein Kalbsrücken serviert, der es sich schon fünf Stunden vor dem Eintreffen der Gäste bei 70 Grad im Ofen gemütlich gemacht hat. Dazu gab es ein Gröstl aus Frühlingsgemüse – in die Pfanne schafften es Mairüben, grüner Spargel oder Pilze –, eine langsam gekochte Sauce mit viel reduziertem Rotwein sowie gebackene Grießknödel.
Letztere können auch als Suppen-Einlage oder Snack serviert werden, schmecken aber auch als Beilage gut. Sogar so fein, dass das dazu servierte Fleisch für mich zur Sättigungsbeilage wird. Die goldenen Knödel sind die Stars.
Die Gäste wurden sich vertrauter und erzählten sich Schwänke aus ihren völlig unterschiedlichen Leben. Es gibt eben etwas zu erzählen, wenn Pädagoginnen, Kommunikationsexperten, ein Klavierlehrer oder ein Kabarettist zufällig zusammen finden. Erst das Dessert unterbrach den Plausch nochmals.
Ein Glück, wie sich herausstellte: Denn die Gäste offenbarten sich als Nachtisch-Fans. Es gab es eine Nusshippe gefüllt mit Erdbeeren, die mit Grand Marnier und Schokoladen-Minze mariniert wurden. Daneben lag eine Nocke Mohn-Mousse auf dem Teller – manche erwischten zwei davon – und Turrón aus weißer Schokolade, gerösteten Kokosraspeln und einer noch geheimen Gewürz-Rezeptur.
Es wurde politisch
Die Diskussion wurde zunehmend politischer. Ibiza sei Dank – endlich wird wieder leidenschaftlich über Politik gesprochen. Trotz unterschiedlicher Gesinnung, schließlich befanden sich unter den Gästen auch eine ehemalige Stadträtin der Grünen und ein ehemaliger Pressesprecher einer Ministerin der Volkspartei.
Die politischen Diskussionen führten so weit, dass sich die launige Runde gegen 22 Uhr sogar auf eine Experten-Regierung einigte. Die Ressorts wurden konsensorientiert und parteiübergreifend am Tisch zugeteilt. Ohne Anpatzen, ohne Streit: Der Beginn eines neuen Stils? Es ist Zeit. Es ist sogar höchste Zeit!
So kristallisierte sich letztlich das inoffizielle Motto des Abends heraus: Wir heben lieber ein Bierlein auf den amtierenden Präsidenten, als einen Wodka auf den ehemaligen Vizekanzler. Und Grießknödel, Morillon und Turrón kommen im Probelokal besser an, als Sushi, Kaviar und Champagner.
Auf das zweite Jahr!
Nun geht das Probelokal in sein zweites Jahr. Wenn das Interesse der geschätzten Leserschaft anhält, wird im Frühjahr 2020 der nächste Geburtstag gefeiert. Wieder mit einer illustren Gästeschar. Doch wer dann wohl Bundeskanzlerin ist? Wem die Kronenzeitung bis dann gehört? Ob Ibiza Mallorca in der Gunst der Touristen ablöst? Und ob der ehemalige Vizekanzler wirklich ins EU-Parlament einzieht? Wir werden sehen.
Zutaten:
Morillon-Schaumsuppe: Eine kleine Zwiebel, eine Knoblauchzehe, eine Lauchstange, ein Stück Knollenssellerie (ca. 200 Gramm), ein Esslöffel Butter und ein Esslöffel Mehl, 200 Milliliter Weißwein (zB Morillon), 600 Milliliter Suppe (zB Gemüse-, Hühner- oder Rindssuppe), 200 Milliliter Rahm, etwas Salz, Pfeffer, Cayennepfeffer und geriebene Muskatnuss
Dazu empfiehlt sich natürlich ein Schluck Morillon – beim Jubiläum handelte es sich um einen DAC 2018 aus dem Landesweingut Silberberg im südsteirischen Leibnitz.
Musik:
Im Hintergrund lief zum Jubiläum die Probelokal-Playlist namens „Sommerabend“ – zu hören waren ua „Firecracker“ von The Bros. Landreth, Peter Rowan mit dem Bob-Marley-Cover „No Woman, No Cry“, „Maybe On Monday“ von Calexico, der „Groove in G“ von Tinariwen, „Perth“ von Beirut oder „Too Soon To Go” von Tift Merritt. Details zu den Probelokal-Playlists auf Anfrage!
Es war mir Ehre, Freude und Genuss. Und zudem spesenfrei und steuerschonend. So bleibt auch dem kleinen Mann am Ende des Monats einfach mehr im Bauch und in der Tasche. Brutal sozial! Ein gelungener Start für das neue Kabinett.
Ich verbleibe voll Zuversicht und Vorfreude auf die nächste Sitzung,
der Sozialminister