Ein Rezept
für Seattle.
Dieses Gulaschsuppen-Rezept geht aus gutem Grund an die Nordwestküste der USA – und zwar nach Seattle. Damit die Export-Import-Bilanz passt, lasse ich mir im Gegenzug Musiktipps aus dieser Brutstätte alternativen Sounds zukommen. Die Moral dieser Rezeptgeschicht‘: Eine Gulaschsuppe an Winterabenden schmeckt viel besser, wenn statt alpenländischen Après-Ski-Schlagersängern die alternativen Folk- und Rock-Meister der Westküste in die Saiten greifen.
Neulich ereilte mich eine Nachricht aus Amerika. Es war Matt, ein ehemaliger Austauschschüler aus Seattle, der sich in kulinarischer Notlage hilfesuchend an mich wandte. Fast 30 Jahre ist es her, als er ein Schuljahr auf dem Gymnasium mit mir besuchte. Wie ich erfreut feststellte, zählt er zur Handvoll amerikanischer Stammleser von probelokal.com. Und er dachte an mich, als er sich auf die Suche nach dem Rezept einer legendären Gulaschsuppe machte, die er damals hier in den Alpen kennen lernte. Welche Ehre.
Eine Gulaschsuppe ist für mich die Krönung eines Winter-Wochenendtages. Sie wird am besten an einem Freitagabend zubereitet und dann an den Folgetagen genossen – bevorzugt nach einem Skitag in den Bergen oder zumindest nach einem nasskalten Spaziergang im Tal. Der Tag Ruhezeit lässt die Zutaten noch geschmackvoller werden.
Daran konnte sich auch Matt erinnern. „I have a question, and it seems that you’re the man who is most likely going to be able to help me”, schrieb er mir. „Do you have a standard gulashsuppe recipe that you can pass along to me?” Aber sicher, Matt. Ein Glück, dass Donald Trump auf Rezept-Zusendungen aus der EU noch keine Strafzölle einhebt.
Während des Einkaufens der Zutaten fürs Probekochen kommen Erinnerungen hoch. Ich weiß noch genau, wie sich Matt in der Schule immer mit seiner sonoren Stimme vorstellte: Hi, I’m Matt from Seattle, Washington. Yes, wie cool das klang. Seattle ist ein Sehnsuchtsort – eine der lebenswertesten Städte der USA, recht niederschlagsreich und grün, fast ein wenig unamerikanisch. Vielleicht auch deshalb, weil sie ganz im Nordwesten und damit fast schon in Kanada liegt.
Eine musikalische Metropole
Aus dieser Gegend kommen nicht nur Microsoft, Boeing, Starbucks oder Amazon. Von dort kamen zu der Zeit, als Matt in der Reihe hinter mir die Schulbank drückte, auch Curt Cobain und sein Nirvana, Alice In Chains oder Pearl Jam. Und natürlich Soundgarden mit dem unvergessenen Chris Cornell. Hier wurde also ein gewichtiges Kapitel Musikgeschichte geschrieben.
Ich erinnere mich auch, dass Matt ein großer U2-Fan war. Er schrieb die Texte seines Lieblingsalbums Rattle And Hum mit Kreide auf die Tafel. Das Album ist in der Tat großartig und in meinen Ohren das letzte große Highlight von U2. Ich bekomme jedenfalls immer noch Gänsehaut, wenn ich Angel Of Harlem oder erst recht Van Diemens Land höre. Letzteres wird vom Gitarristen The Edge solo gesungen und gespielt.
Damals erkannten wir das Potenzial gar nicht, das ein Gast aus einer der coolsten Gegenden der Welt mitbrachte. Zu sehr waren wir mit 15 Jahren mit Pubertätssorgen, Fußballtrainings und Schularbeits-Vorbereitungen beschäftigt. Außerdem rangen wir damals um die musikalische Stilsicherheit. Das Radio versuchte uns mit Bon Jovi, Snap oder Dr. Alban ruhig zu stellen.
Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk
Tocotronic
Und werden es auch niemals sein
Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk
Was bildest du dir ein?
Was nicht ist, kann niemals sein
Jetzt ist Suppenzeit
Die Zutatenliste entdecken Sie wie immer am Ende der Geschichte. Zuerst schneide ich alles klein: Die Zwiebeln, den Knoblauch und den Speck in ganz feine, das Bio-Fleisch vom artgerecht gehaltenen Rind in etwas größere Würfel (ca. 1 cm). In einem ofenfesten Schmortopf lasse ich das Butterschmalz zergehen. Bei mittlerer Temperatur brate ich den Speck und die Zwiebeln unter gelegentlichem Rühren darin an.
Inzwischen heize ich den Backofen vor – entweder auf 140 Grad Ober- und Unterhitze oder 120 Grad Umluft. Und ich erhitze in einem eigenen Topf die Suppe, mit der Sie in Kürze aufgießen werden – es spielt keine Rolle, ob Sie feine Rinds-, Gemüse- oder Hühnersuppe verwenden.
Die Speck- und Zwiebelmischung duftet bereits herrlich-rustikal aus dem Topf. Zur Krönung kommt nun der gehackte Knoblauch dazu. Und dann das Rindfleisch. Rühren Sie ein paar Mal durch, ehe Sie das Tomatenmark dazu geben und die Gewürze darüber rieseln lassen – das Paprikapulver, Majoran, das Lorbeerblatt und den Kümmel. Manchmal lösche ich die Mischung mit einem Schuss Rotwein ab – das mache ich immer dann, wenn ich eine offene Flasche herumstehen habe. Dann gießen Sie mit der heißen Suppe aus dem Nebentopf ab, rühren durch und geben den Deckel auf den Topf.
Die Gulaschsuppe darf nun für 1,5 Stunden ins Backrohr. Diese Zubereitungsweise ist mir die Liebste: Während der Topf mit gleichmäßiger Hitze versorgt wird, sich die Aromen aufs Herrlichste verbinden und gar nichts Gefahr läuft, anzubrennen, haben Sie Zeit für andere Dinge. Zum einen können Sie sich der Musik widmen – dazu später. Und zum anderen können Sie die Zutaten vorbereiten, die erst gegen Ende der Geschichte in den Topf kommen.
Das wären etwa die Kaminwurzen – eine dürre, geräucherte Wurst, die ein regionaler Metzer auf formidable Weise aus Bio-Schweinefleisch herstellt. Diese werden schräg in dünne Scheiben geschnitten und zwischen geparkt. Genauso wie die Paprika, die Sie zuvor in zentimetergroße Würfel schneiden. Die Kartoffeln werden geschält und in Würfel geschnitten. Damit das Gemüse nicht braun wird, kommt es in eine Schüssel mit kaltem Wasser.
Diese Zutaten kommen in den Topf, nachdem die 1,5 Stunden abgelaufen sind. Dann darf die Suppe mit den Kartoffeln, der Paprika und den Kaminwurzen nochmals für eine halbe Stunde ins Backrohr. Meist schalte ich dann den Ofen aus und lasse den Topf über Nacht darin zum Nachziehen stehen. Am Morgen ist die Suppe noch warm – wenn Sie sehr mutig sind, können Sie sich einen Teller davon zum herzhaften Frühstück genehmigen.
Ich warte meist auf den Abend, erhitze den Topf langsam auf dem gewöhnlichen Herd und schmecke mit Salz, Pfeffer, ein paar Tropfen Zitronensaft und noch etwas – bevorzugt geräuchertem – Paprikapulver ab. Zur Bindung gebe ich etwas Suppe in eine Schüssel mit einem Löffel Kartoffelstärke, rühre kräftig durch und gieße die Flüssigkeit zurück in den Topf. Das ist keine Pflicht, macht die Optik aber appetitlicher. Fertig ist die Suppe – serviert wird sie mit viel frischem, knusprigem Brot. Es sollte kein fades Weißbrot sein, das können Sie im Sommer wieder verwenden.
Musiktipps aus Seattle
Wir schwenken wieder hin zur Musik. Im Gegenzug zum Gulaschsuppen-Rezept, das ich nach Seattle schickte, bat ich Matt um Musiktipps aus der Musikmetropole. Er bekannte sich als Fand der Band „Covet“. Die Band wird dem Genre des Math-Rocks zugerechnet, einem progressiven und durchaus herausfordernden Musikstil, der nicht umsonst die „Mathematik“ im Namen trägt. Der Song „Shiboya“ klingt fast schon frühlingshaft und gar nicht übel. Aber da die Mathematik-Matura doch ein gewisses Trauma hinterlassen hat, will ich mich mit dieser Materie nicht auch noch beim entspannten Wochenend-Musikhören beschäftigen. Deshalb hält sich die Sympathie für das Genre des Math-Rocks dann doch in Grenzen.
Da gefällt mir die Band Of Horses schon besser, die mir Matt ebenso empfohlen hat. Die Indie-Rock-Band stammt wie er selbst aus Seattle. Berühmt ist ihr Song „The Funeral“ aber auch „No One’s Gonna Love You“ könnte Ihnen bekannt vorkommen. Einige ihrer Titel kommen schließlich in TV-Serien oder Videospielen vor.
Mein rein persönliches Fazit aus dieser Rezeptgeschichte: In Fragen der Qualität alternativer Musik wird man im Nordwesten Amerikas, zwischen Portland und Seattle, ganz bestimmt fündig. Da gilt: America first. Im Gegenzug will ich ganz unbescheiden behaupten, dass die österreichische Küche, gewachsen aus alpenländischer und böhmischer Tradition, gewürzt durch die Einflüsse der Vielvölker-Geschichte, der Nabel meiner Küchenwelt ist. Da gilt: Austria first.
Kombiniert man Sound aus Seattle und Schmalz aus den Alpen, ist die Mischung perfekt. Gulaschsuppe braucht weder Lederhose noch volksrock’n’rollische Après-Ski-Musik. Aber die politische Feststellung, dass wir den um Längen cooleren Präsidenten haben, darf ich am Ende nicht ohne Stolz fallen lassen. Der braucht nicht immer laut zu bellen, der heißt bereits so.
Zutaten:
1 Esslöffel Butterschmalz, 300 Gramm Bio-Rindfleisch zum Schmoren (Schulter oder Wade), 100 Gramm Speck, 2 Zwiebeln, 3 Knoblauchzehen, 1 gehäufter Esslöffel mildes Paprikapulver, 1 Teelöffel getrockneter Majoran, 1/2 Teelöffel gemahlener Kümmel, 1 Lorbeerblatt, 1,5 Liter Suppe (klare Rinds-, Hühner- oder Gemüsesuppe), 1 rote Paprika, 3 speckige Kartoffeln (ca. 300 Gramm), zum Binden ein Teelöffel Kartoffelstärke und etwas Wasser, Salz und Pfeffer, etwas Zitronensaft – zur Krönung 100 Gramm Kaminwurzen oder Landjäger, viel Brot
Musik:
Band Of Horses: Alben „Everything All The Time“ aus dem Jahr 2006, Produzent Phil Ek, Label Sub Pop Records und „Acoustic At The Ryman” aus dem Jahr 2014, Label Brown Records
Covet: Album „Effloresce“ aus dem Jahr 2018, Label Sony
U2: Album „Rattle And Hum” aus dem Jahr 1988, Label Island Records, Produzent Jimmy Iovine
Hallo Daniel, danke für deine erfrischende und „ahmächelige“ Beschreibung!
Bin grad im Land der Tom Ka Gai – werde dein Rezept aber gleich ausprobieren, wenn ich ins kalte Ländle zurück komme.
Liebe Grüße
Margit
Danke Margit! Schöne Zeit dort und bis bald.
That’s the stuff. I’m going shopping this afternoon. A good Landjäger is not easy to find around here, but I think I can substitute a couple of Slim Jims… I hear they’re a favorite of Mr Trump. (Just kidding; there’s a local butcher that makes a decent Landjäger, it’s just a short drive).
Now it’s my turn to make an alternative Seattle Gulaschsuppe… substituting the beef with fresh Sockeye Salmon and geoducks! Maybe I’d better not.
It is my solemn opinion that a bowl of good, thick clam or Dungeness crab chowder is the perfect, warming meal on one of the endless rainy winter days in Seattle, but your Gulaschsuppe is now going to give it some stiff competition. Thanks again!
Matt – yes, sockeye salmon and geoducks! I’m interested!
Hi Dan,
schon länger nicht mehr hier gewesen – grad selber erschrocken – shame on me..
Dieser Suppenklassiker duftet verführerisch aus meinem Handy – und jetzt da der Winter wieder Einzug hält im Land und man in viralen Zeiten eine gute Kräftigung ertragen kann, werde ich mich umgehend an die Umsetzung wagen. Noch dazu feiert die Suppe am selben Tag Geburtstag wie ich… 🙂
GLG und weiter so…