Hauptsache Beilage.
Kartoffelsalat kann grausam sein – oder ein kulinarischer Höhenflug. Gelingt Letzterer, braucht es dazu höchstens ein Stück Brot. Mein heutiger Gastkoch ist jedoch schwer dafür, als Beilage zum Kartoffelsalat knusprige Hühnerteile zu backen. Damit entsteht ein Lieblingsessen für die kleinen Helden der Corona-Krise.
Als Einkaufsbeauftragter der Familie bekomme ich derzeit ein Gefühl von Steinzeit – verhüllt mit einer furchterregenden Maske verlasse ich die Höhle der Isolation, erlege unter den gefährlichen Umständen der Wildnis des Supermarktes das Bison und kehre mit Nahrung zurück nach Hause.
Nein, natürlich ist es nicht so schlimm. Doch die Maskenpflicht hat mich von allen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus in der persönlichen Freiheit am meisten getroffen. Bisher genügte der Hausverstand, wenn es um das Abstandhalten und Händewaschen ging. Doch nun sind auch sichtbare Zeichen fällig. Die Abneigung gegenüber Masken rührt vielleicht auch daher, dass ich mich im Fasching nur ungern verkleide.
Maskenball im Supermarkt
Während ich sonst zur männlichen Minderheit derer zähle, die gerne einkaufen, liegt derzeit auf jedem Supermarkt-Besuch ein unwirklicher Schatten. Und immer wenn ich mich mit der Schutzmaske in ein Geschäft zwinge, denke ich, dass bald Kurt Felix hinter der Wursttheke hervorspringt und den Spuk mit den Worten „Verstehen Sie Spaß?“ auflöst. Doch weit und breit ist kein Lockvogel in Sicht.
Einen Vorteil hat die Maskenpflicht jedoch – besonders, wenn man in Eile ist: Man kann ohne Smalltalk durch den Supermarkt streifen und sogar versteckte Grimassen ziehen, wenn jemand drängelt oder furchtbare Produkte wie Fleisch aus Massentierhaltung oder Industrie-Schokolade in den Wagen legt.
Ich schnappte mir kürzlich eine große Packung Kartoffeln. Die sind mir auch in Krisenzeiten lieber als Nudeln und Reis. Egal ob als Bratkartoffeln, Tortilla oder knusprige Würfel: Die Trüffeln des kleinen Mannes sind der wahre Genuss – auch für jemanden, der 1,84 Meter misst.
Ein Koch-Vormittag mit Florian
Durch das heutige Rezept begleitet mich mein 8jähriger Sohn Florian. Er steht stellvertretend für die vielen Kinder, die in ihrer ersten Wohlstands-Krisenerfahrung tapfer durchhalten und die Küchen ihrer Familien ordentlich durcheinander wirbeln. Das Sandwichkind wünschte sich Kartoffelsalat. Denn Florian weiß ganz genau: Wenn es den als Hauptspeise gibt, dann meist ergänzt durch eine knusprige Fleischbeilage. Etwa ein zartes Wiener Schnitzel oder knusprige Stücke vom Huhn.
Kartoffelsalat gibt es auf unzählige Arten. Jeder Hausmann, jede Köchin, jede Region schwört auf ein eigenes Rezept. Es gibt puristische Versionen mit Essig und Öl, raffinierte Salate, in denen die Kartoffelscheiben in kräftiger Rindssuppe ziehen dürfen. Oder gar üppige Versionen mit Mayonnaise.
Um mich im Kartoffelsalat-Universum durchzuarbeiten, mache ich mir fast jede Woche eine Variante. Erst letzte Woche mischte ich Käferbohnen, scharf angebratene Speckwürfel und viel Kernöl unter den Salat – ein Hochgenuss. Doch der Klassiker im Probelokal ist die Variante, die Florian und ich heute vorstellen. Es ist die seriöse, wenig experimentelle, klassische Art. Sie wurde schon bei unzähligen Geburtstagsfesten serviert.
Jetzt machen wir uns den Salat
Ich wasche die Kartoffeln und koche Sie sie ungeschält in gesalzenem Wasser mit etwas Kümmel weich. Das dauert je nach Größe zwischen 30 und 40 Minuten. Nach dem Abgießen des Wassers dürfen die Knollen einige Minuten ausdampfen. In dieser Zeit wird die Marinade zubereitet – dazu zerlasse ich die Butter in einer Pfanne und brate die gehackte, helle Zwiebel darin an. Den Zucker riesle ich darüber, auch eine kräftige Prise Salz und der Senf kommen dazu. Mit Essig lösche ich ab und mit der Suppe gieße ich auf. Die würzige Mischung köchelt nun wenige Minuten ein.
Dann werden die Kartoffeln geschält und in dünne Scheiben geschnitten. Im Probelokal erledigte Florian diese Arbeit mit großem Durchhaltevermögen. In einer großen Schüssel werden die Scheiben mit der warmen Essig-Marinade übergossen und mit einem großen Löffel vorsichtig durchgerührt. Noch besser geeignet wären dazu die Hände, doch in Corona-Zeiten könnte die Handarbeit als fahrlässig unhygienisch wahrgenommen werden.
Durch das vorsichtige Verbinden der Marinade mit den stärkehaltigen Kartoffeln wird der Salat schön sämig. Dann kommt das Öl dazu, außerdem kräftig Salz und Pfeffer. Der durchgerührte Salat darf nun für eine Stunde rasten.
Erst kurz vor dem Servieren werden noch eine kleine, gehackte rote Zwiebel oder zwei in feine Scheiben gehackte Frühlingszwiebeln untergerührt. Auch Salz und Pfeffer braucht es meist noch, vielleicht noch einen Schuss Essig. Als frühlingshafte Garnitur bieten sich dünn geschnittene Radieschen an.
Jetzt kriegen wir etwas gebacken
Während der Salat durchzieht, backen Florian und ich das Huhn. Da wir beide von Knochen und Haut nicht viel halten – außer, wir kochen uns Hühnersuppe –, verwenden wir zum Schrecken aller Backhendl-Traditionalisten nur das Filet und vor dem Backen ausgelöste Fleischteile ohne Haut. Das Leben ist momentan schon mühsam genug, da soll wenigstens das Zubeißen uneingeschränkte Freude bieten.
Die Hühnerteile werden in gleichmäßige Teile geschnitten, in wenig Zitronensaft gewälzt, gesalzen und gepfeffert. In einer hohen Pfanne beginne ich, eine Mischung aus Butterschmalz und neutralem Bratöl etwa drei Zentimeter hoch zu erhitzen. Dann bereite ich drei tiefe Teller zum Panieren vor und zaubere drei Tricks aus der Koch-Haube, die es für ein gutes Backhendl zwar nicht zwingend braucht – die aber aus meiner Sicht zu einem noch feineren Ergebnis führen:
In den ersten Teller kommt das Mehl. Trick Nr. 1: Ich rühre einen Teelöffel (wenn möglich geräuchertes) Paprikapulver oder einer Bio-Grillgewürzmischung unter das Mehl. Das Aroma tut dem Huhn gut. Im zweiten Teller verquirle ich die Eier und rühre als Trick Nr. 2 einen kräftigen Esslöffel geschlagenen Rahm unter. Und in Teller drei versammeln sich Brotbrösel, die ich – womit wir bei Trick Nr. 3 wären – mit einer Reibe selbst hergestellt habe. Der Unterschied der gegenüber gekauften Industriebröseln ist enorm! Trick Nr. 3 ist also der Wichtigste dieses Rezepts.
Bis das Öl die Idealtemperatur von 160 Grad Celsius erreicht hat, werden die Hühnerteile in Mehl gewälzt, bevor sie durch die Ei-Rahm-Mischung gezogen werden und ein Bad in den Bröseln nehmen dürfen. Dann werden sie im Öl schwimmend gebacken. Sie dürfen allerdings nur wenige Hühnerteile gleichzeitig in den Topf legen, damit die Öltemperatur nicht sinkt. Ist die Unterseite fein gebräunt, werden die Teile gewendet – das dürfte nach etwa zwei Minuten der Fall sein. Das Fleisch kommt zum Rasten auf einen mit Küchenpapier belegten Teller und bei 60 Grad Celsius zum Warten ins Backrohr. So wächst der Berg an Backhendl-Teilen Schritt für Schritt an. Gemeinsam mit dem Kartoffelsalat werden die knusprigen Feinheiten dann serviert.
Die kleinen Helden des Corona-Alltags
Dieses Lieblingsessen freut besonders die kleinen Helden der Corona-Krise. Kinder zählen zwar nicht zur Risikogruppe und stehen in der allgemeinen Aufregung nicht im Fokus: Und dennoch merken sie ganz genau, dass die Stimmung irgendwie nicht zum strahlenden Frühlingswetter passt. Sie dürfen Opas und Omas nicht um den Hals fallen, treffen keine Schulkollegen, müssen Verschiebungen von Erstkommunion und Schulfesten hinnehmen. Selbst zum Einkaufen sollten sie nicht mit.
Florian hat aber längst die Vorzüge der Corona-Krise entdeckt: Es gibt frühmorgens keinen Stress, Unangepasstheiten bleibt weitgehend folgenlos und der Alltag wirkt einfach ferienhafter. Und spätestens, wenn er sich zwischen den Schulaufgaben eine süße Feinheit aus dem Osternest stibitzt, wächst seine Erkenntnis: „Eigentlich bleibe ich lieber bis zu den Sommerferien zuhause.“
Musik zum Dessert
Nach dem Essen fragte ich Florian nach seinen Musiktipps für die treuen Probelokal-Leser. Da verriet er mir die Lieblingshits dieser Woche. Einerseits ist es der Titel „Shotgun“ des englischen Musikers George Ezra. Und auch „Stimme“ des Musikprojekts EFF von Mark Forster und Felix Jaehn liegt derzeit hoch im Kurs.
Ich hörte kürzlich hingegen auf die Stimme Eddie Vedders, da ein neues Album der Grunge-Senioren Pearl Jam veröffentlicht wurde. Damit empfehle ich zum zweiten Mal innert kürzester Zeit die Musik einer Band aus Seattle. Zwar war ich nie ein großer Fan der Band, jedoch habe ich sie stets wohlwollend respektiert. Dass ich mir nach dem Greatest-Hits-Album „Rearviewmirror“ und den Ukulele-Songs von Sänger Eddie Vedder nun das dritte Album namens „Gigaton“ zulege, liegt nicht nur am Auftaktsong „Who Ever Said“, sondern auch an ungewohnten Synthie-Klängen wie bei „Dance Of The Clairvoyants“. Ein lesenswerter Artikel zum neuen Album ist übrigens von Autor Daniel Gerhardt in der ZEIT erschienen.
Zutaten für etwa 4 Personen:
Kartoffelsalat: 1 Kilogramm festkochende Kartoffeln, 1 Teelöffel ganzer Kümmel, 250 Milliliter kräftige Suppe (klare Rinds-, Gemüse- oder Hühnersuppe), 1 Teelöffel Zucker, 1 Esslöffel Senf (am besten Krensenf), 8 Esslöffel Weißwein-Essig, 10 Esslöffel neutrales Rapsöl (oder tw. Sonnenblumen- oder Leinöl), 1 Esslöffel Butter, 1 weiße Zwiebel und 1 rote Zwiebel oder 2 Frühlingszwiebeln, Pfeffer und Salz, evtl. ein paar Radieschen
Backhendl: 250 Gramm Butterschmalz und 250 Milliliter Bratöl, 800 Gramm Hühnerfleisch (Brüstchen oder ausgelöste andere Teile), ein Teelöffel Zitronensaft, 150 Gramm Mehl, 1 Teelöffel (geräuchertes) Paprikapulver oder Bio-Grillgewürzmischung, 3 Eier, 150 Gramm Brotbrösel, 50 Milliliter Rahm, Salz und Pfeffer
Musik:
Album „Gigaton“ von Pearl Jam aus dem Jahr 2020, Label Monkeywrench/Republic/Universal
Album „Staying At Tamaras“ von George Ezra mit dem Titel „Shotgun“ aus dem Jahr 2018, Label Columbia Records
Album „I“ von Felix Jaehn mit dem Titel „Stimme“
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