Die sparsamen Vier.

Zuletzt ging‘s ans Eingemachte – nicht nur beim Ibiza-Untersuchungsausschuss oder beim historischen Corona-Gipfel der EU, sondern auch im Gemüsebeet: Denn Karfiol, Karotten, Brokkoli und Paprika warten nur darauf, in der sauren Marinade im Glas zu landen. Dazu gibt es die herzhafte Weiterentwicklung der schnöden Wurstsemmel und natürlich herrliche Sommerklänge.

War es eine Wurstsemmel oder eine Käseweckerl? Welcher Imbiss wurde während des Ibiza-Untersuchungsausschusses nun wirklich verspeist? Man weiß es nicht genau. Die Erinnerungslücken sind enorm. Nicht nur, wenn es um die Jause geht. Der Finanzminister konnte sich während seiner Aussagen als Auskunftsperson exakt 86 Mal nicht erinnern.

Klar, es kann sein, dass er ein schlechtes Gedächtnis hat – das kommt in den besten Familien vor, zählt aber nicht zur idealen Eigenschaft bei der Leitung des Finanzministeriums. Oder er spricht nicht die Wahrheit – was natürlich auch keine ideale Voraussetzung für das Amt ist. Nun ja, er kommt damit durch, solange die Marketingmaschine läuft.

Die Erinnerungslücken waren nicht das einzige Malheur des Ausschusses. Offenbar mangelte es auch denen, die Fragen stellten, an guten Manieren – so sollen während der Befragung Käseweckerl und Wurstsemmel hinunter geschlungen worden sein. Schade, dass die Kameras hinausgesperrt waren. Aber ich sehe sie schon vor mir, die pappige Version der Jause. Mit ein wenig blasser Extrawurst und einer lahmen Essiggurke.

Auch einfach, aber um Längen besser als jede gummige Wurstsemmel: Das Speckbrot 4.0 aus dem Probelokal.

Zeitgemäßes Speckbrot
Nein, mit solcherlei Fraß darf man sich nicht zufrieden geben. Auch das Einfache kann auf anspruchsvollem Niveau serviert werden. Politisch wie kulinarisch. Womit wir bei der bestmöglichen Form eines Jausenbrotes sind. Dazu braucht es drei Zutaten, die im Probelokal immer vorhanden sind: Brot, ein paar Scheiben Schinkenspeck und Kren. Damit lässt sich auch spontan eine herrliche Jause zaubern.

Dazu schneide ich die dünnen Schinkenspeck-Scheiben in schmale Streifen, brate sie in wenig Öl in einer beschichteten Pfanne knusprig an und lagere sie auf Küchenpapier zwischen. In derselben Pfanne schwitze ich noch in Streifen geschnittene Paprika oder Zwiebeln an. Das Gemüse wird gepfeffert, gesalzen und mit einem Spritzer Zitronensaft abgeschmeckt.

Dann braucht es das passende Brot. Die gummigen Semmeln aus dem Zehnernetz taugen dazu nicht – wir sind ja nicht im Untersuchungsausschuss! Ideal geeignet für dieses Jausenbrot ist eine Seele. So nennt sich ein längliches Dinkelbrot aus dem Schwabenland, außen knusprig und innen saftig.

Die in drei lange Scheiben geschnittene Dinkel-Seele freut sich in der Grillpfanne. Im Vordergrund warten schon die gebratenen Speckstreifen.

Friedas knuspriger Brot-Turm
Die Seele schneide ich zweimal quer durch, damit daraus drei Brotscheiben werden – den kleinen Trick für Auge und Mund zeigte mir vor vielen Jahren die gute Frieda. Die Cousine meines Vaters betrieb im Südtirol ein kleines Café, in den Ferien durfte ich dort einmal aushelfen. Die resolute Wirtin servierte ihre Panini stets in Form dreier getoasteter Brotscheiben, die sie belegte und übereinander stapelte.

Im Probelokal röste ich die Brotstreifen in einer fettfreien Pfanne – am besten eignet sich eine Grillpfanne. Sind sie leicht gebräunt und knusprig, wird der Boden des Brotes mit frisch geriebenem Kren bestreut oder mit Sahnekren aus dem Glas bestrichen. Darüber kommt die Hälfte der Speck- und Gemüsestreifen, dann die mittlere Brotscheibe, dann wieder Speck und Gemüse und zum Schluss der knusprige Deckel des Brotes. Das kracht beim Hineinbeißen und die Füllung sorgt für eine herzhafte Geschmacksexplosion.

Saure-Gurken-Zeit
Dazu passt eingelegtes Gemüse. Denn wenn es auf den August zugeht, naht die Saure-Gurken-Zeit. Vor allem in den Medien. Im Sommer passiert wenig Neues, normalerweise helfen Festspiele, Sportturniere und Open-Airs, um die Seiten zu füllen. Doch heuer ist coronabedingt alles anders. Wenigstens innen- und außenpolitisch ist einiges los.

Das eingelegte Gemüse in seiner Vollendung.

Sie haben vielleicht den historischen EU-Gipfel mitverfolgt, der sich über mehrere Tage und Nächte zog und bemerkenswerte Ergebnisse brachte. Das gewaltige Haushaltspaket mit unvorstellbaren 1,8 Billionen Euro soll den Corona-Crash abfedern – ein Kraftakt der EU. Trotz aller Differenzen und ungeklärter Fragen schimmerte ein wenig europäischer Zusammenhalt durch. Und zur Finanzierung sollen neue Abgaben beitragen, die durchaus vernünftig klingen: Etwa auf nicht recyceltes Plastik, Steuern für Digitalunternehmen oder umweltschädliche Produkte aus Drittstaaten.

Als kritische Geister agierten dabei die sogenannten „sparsamen Vier“, ein außenpolitischer Zusammenschluss der Niederlande, Dänemark, Schweden und Österreich zu innenpolitischen Zwecken. Bislang kannte ich nur die „glorreichen Sieben“ aus Otto Waalkes Komödie „Otto – der neue Film“. Und natürlich Helge Schneiders „Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem“, wo im Saloon die „drei lustigen Zwei“ aufspielen.

Nun also die sparsamen Vier, die gerne auch als die „frugalen Vier“ betitelt werden. Dieses Wort musste ich zuerst frugoogeln. Es bezeichnet eine einfache, bescheidene Lebensweise – offenbar besonders in Bezug aufs Essen und Trinken. Das passt ja wunderbar ins Probelokal.

Zwerge, die Schatten werfen
Als alemannischer Bürger bin ich es gewohnt, auf das Gesparte zu schauen. Das erscheint mir nicht unvernünftig. Aber in Brüssel erwarte ich mir den größeren Blick angesichts einer beispiellosen Krise. Da geht’s ans Eingemachte, um die europäische Idee. Und nicht um das Schielen auf die Umfragewerte und Schlagzeilen im eigenen Land. Der ungarische Ministerpräsident hat sogar mit stolzem Gewinnerlächeln den Verhandlungserfolg verkündet, dass europäische Gelder trotz fehlender rechtsstaatlicher Standards fließen können – darauf öffentlich stolz zu sein, offenbart das rüpelhafte Format des Mannes. „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten“, soll Karl Kraus einmal gesagt haben.

Stolz präsentiert Julian den frisch geernteten Karfiol.

Aufkommende Aggressionen ob solcher Machenschaften baue ich beim Gemüseschneiden ab. Ich durfte im elterlichen Garten einen Karfiol ernten, legte Karotten, Brokkoli und Paprika dazu und freute mich über diese ausgesprochen sparsamen Vier. Nach dem Zuputzen und Waschen schnitt ich das Gemüse in mundgerechte Stücke. Großmäuler müssen größere Stücke schneiden als kleinlaute Menschen. So einfach ist das.

In einem großen Topf koche ich Wasser auf und lasse die Gemüsesorten nacheinander kurz darin herumspringen – das nennt man Blanchieren. Die Karfiol-Röschen und Karotten-Stücke bleiben rund vier Minuten im Wasser, Brokkoli und Paprika nur zwei. Dann wird der Garprozess unterbrochen, in dem das Gemüse aus dem Topf gefischt und in kaltem Wasser abgeschreckt wird.

Essig, Wasser und Gewürze werden aufgekocht und bilden den Sud.

Nun koche ich einen Sud auf, in dem das Gemüse später eingelegt wird. Dazu benötige ich den Essig, das Wasser und sämtliche Gewürze (siehe Zutaten). Ich schichte das abgetropfte Gemüse in sterile Gläser, übergieße es mit dem Sud, lege noch etwas Rosmarin oder Thymian ein und vollende mit einem kräftigen Schuss Öl, das sich an der Oberfläche sammelt. Dann schließe ich die Gläser und lasse sie ein paar Tage durchziehen, bevor ich das saure Gemüse zum knusprigen Speckbrot genieße.

Feines zum Mitsingen
Zur Krönung höre ich das Album „If I Had A Hi-Fi“ der wunderbaren Band „Nada Surf“. Nicht nur der Albumtitel ist originell – lesen Sie ihn einmal rückwärts! –, sondern auch dessen zwölf Titel. Denn es handelt sich um Cover-Versionen, denen die drei New Yorker Musiker mit ihrem eigenen Stil eine neue Identität verleihen.

Zum Hineinhören beim Hineinbeißen ins saure Gemüse empfehle ich die beiden ähnlich lautenden, aber nicht ähnlich klingenden Titel „Electrocution“ oder „Evolucion“. Letzteres ist ein Cover der spanischen Band Mercromina, das ich derzeit jeden Tag vor mich in den Sommer hinsumme. Als Zugabe gibt’s die akustische Nada-Surf-Version eines der größten Lieder aller Zeiten: „Enjoy The Silence“, eigentlich von Depeche Mode.

Zutaten für ein Sandwich und sparsame vier Gläser Essig-Gemüse:
1 längliches Brot, zB eine Seele, 100 Gramm dünn geschnittener Schinkenspeck, 1 Paprika und 1 Zwiebel, etwas frisch geriebener Kren oder ein Teelöffel Sahnekren aus dem Glas, Salz, Pfeffer, etwas Öl und ein paar Tropfen Zitronensaft.

1 Kilogramm Gemüse – ich nahm Karfiol, Brokkoli, Karotten und Paprika, es gingen aber auch Sellerie, Champignons oder Kohlrabi –, 400 Milliliter Essig und 600 Milliliter Wasser, 80 Gramm Zucker, 2 Lorbeerblätter, 1 Teelöffel Salz, ein paar Senf- und Pfefferkörner und Wacholderbeeren, 40 Milliliter Öl, ein paar frische Kräuter wie Thymian, Rosmarin oder Oregano.

Musik
Album „If I Had A Hi-Fi“ von Nada Surf aus dem Jahr 2010, Label Mardev Records

Post Author: Dan

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