Süßer, steirischer Herbst.
Anstatt wahrhaftig durch Risiko-Gebiete des Landes zu tingeln, belasse ich es diesen Herbst bei gedanklichen Streifzügen durch Österreich. Dabei komme ich mir fast vor wie TV-Urgestein Sepp Forcher, der stets in den schönsten Gegenden des Landes seinen Hut lüftete. Genüsslich höre und koste ich mich durch neue Musik und zeitgemäß interpretierte kulinarische Spezialitäten der Alpen.
Nun ist es also wieder so weit. Kaum, dass der Bauchumfang nach dem ersten Lockdown wieder ein verträgliches Maß angenommen hat, folgt der zweite. Und damit trete ich auch die zweite Welle an besonders aufhellenden Gerichten aus der Küche und köstlicher Begleitmusik los.
Ich beneide die politisch Verantwortlichen derzeit gar nicht. Auch wenn deren Kommunikation holpert und das rechtsstaatliche Gebälk ordentlich knarren mag: Mein Respekt gilt allen, die sich derzeit Tag und Nacht den Kopf zerbrechen und ebendiesen öffentlich hinhalten müssen. Denn egal, welche Entscheidung in diesen ungewissen Zeiten verkündet wird – sie bringt eine Menge Leute gegen sie auf.
Manch Neunmalkluger unterstellt der Politik auch noch, Handlanger irgendeiner versteckten Macht zu sein, die mit Corona ein höheres Ziel verfolgt. Auch Dummheit geht offenbar viral. Stattdessen sollten wir uns mit vereinten Kräften und ganz viel Eigenverantwortung durch die angespannten Monate schleppen, ohne völlig durchzudrehen. Ein Glück, dass das die absolute Mehrheit der Menschen auch tut. Sie ist nur nicht so laut, wie die Corona-Extremisten.
Sepp Forcher lüftet den Hut
Ein bedeutendes TV-Ereignis ist in den Krisenmonaten fast untergegangen: Sepp Forcher hat sich nach 200 Sendungen aus dem Fernsehen verabschiedet. Das Volksmusik-Urgestein („Klingendes Österreich“) feiert noch heuer seinen 90. Geburtstag.
Nun ist es nicht so, dass ich seine Sendungen regelmäßig verfolgt hätte – aber es war gut zu wissen, dass hunderttausende Menschen, vor allem Omas, Tanten und Onkel, regelmäßig mit Sepp Forcher durch die Lande zogen. Sie waren nämlich in guter Gesellschaft. Denn es gelang Forcher, das Land fernab des nationalistischen Miefs zu erkunden. Heimatverbunden, aber nicht engstirnig.
Das lag auch daran, dass der in Rom geborene Giuseppe Forcher, Sohn Südtiroler Eltern, die im 2. Weltkrieg nach Salzburg zogen, stets ein Gegenpol zu den volkstümlichen Abgründen darstellte. Er brauchte gewiss kein übermotiviertes Après-Ski-Gejodel in Ischgl oder keinen dumpfen Volks-Rock’n’Roll. Dieser Sound gehört nicht erst seit den Viren-Partys in Tirol ohnedies längst dorthin, wo der Pfeffer wächst.
Neue Volksmusik aus den Alpen
Ich bin kein fleißiger Hörer traditioneller Volksmusik, aber respektiere sie – weil sie echt ist, am Boden steht und von Herzen kommt. Die neue Volksmusik hat es mir in letzter Zeit allerdings durchaus angetan. Entstaubt wurde sie von selbstbewussten, österreichischen Musikerinnen und Musikern.
Da wären etwa die „Strottern“ aus Wien, die in der Isolation des ersten Lockdowns ihren bezaubernden Titel „Wia tanzn is“ aufgenommen haben – ein Liebeslied für die Höhen und Tiefen des Lebens, Sie sollten auf den Text achten.
Oder das fünfköpfige Ensemble „Alma“, das klassische Volksmusik mit Klassik kombiniert und herausragende Klänge fabriziert, etwa beim Titel „Finska“. Und dann wäre da noch Sibylle Kefer aus Bad Ischl, die ganz viel Herzblut in ihre Musik steckt, etwa wenn sie in ausführlichen Worten über ihren „Bua“ singt.
Das neue, selbstbewusste österreichische Lied erfrischt, denn es ist sich seiner Wurzeln bewusst, zeigt sich aber weltoffen. Da versöhnt sich auch das ländliche Österreich, auf das der Bobo aus der Stadt in seinem Überlegenheitsgefühl auch schon mal hinabsieht, mit dem urbanen Raum. „Provinz ist eine Behauptung“, das sagte schon Gerhard Polt.
Ab in die Südsteiermark
Auf meiner imaginären Reise durch die Alpen bin ich wieder einmal in der Südsteiermark hängen geblieben. Das liegt einfach an der dortigen Kulinarik – an den Käferbohnen, frischem Kren und würzigem Rindfleisch-Salat mit Kernöl. Und natürlich an den aromatischen Weißweinen aus den südsteirischen Hügeln, etwa einem Muskat-Sylvaner vom Leutschacher Schlossberg.
Zum Kaffee gibt es eine saftige Roulade mit steirischen Hauptzutaten: Aus der Schokoladen-Fabrik in Riegersburg stammt die weiße Schokolade. Und von den südsteirischen Kürbisfeldern das Kernöl und die gemahlenen Kürbiskerne. Sie färben den Biskuit-Teig nicht nur steirisch-grün, sondern verleihen ihm auch eine nussige Note.
Am Vortag koche ich Rahm mit Vanillezucker und Sternanis auf, ziehe die Luxus-Mischung vom Herd und decke sie ab. 10 Minuten später rühre ich die gehackte weiße Schokolade ein und sehe ihr beim Auflösen zu. Ich entferne die Anis, lasse die Masse auskühlen und stelle sie über Nacht in den Kühlschrank.
Anis mag man, oder eben nicht
Übrigens tragen nicht nur die Maßnahmen gegen die Pandemie zur Spaltung bei, sondern auch der Geschmack der Anis: Entweder man ist dafür oder dagegen. Doch da das Leben weder schwarz oder weiß ist, sondern sich vernünftigerweise im Graubereich abspielt, sollte man sich auf die faszinierende Sternanis einlassen: Sie schmeckt subtiler, als gewöhnliche Anis-Samen und rundet die heute vorgestellte Crème auf dezente Art ab.
Dann heize ich den Backofen auf 200 Grad vor, trenne die Eier und schlage das Eiweiß und die Prise Salz mit dem Mixer steif. Die Eidotter rühre ich mit dem Zucker hellgelb, hebe das Eiweiß auf die Eidotter-Zucker-Crème, streue die gemahlenen Kürbiskerne und das Mehl darüber, gieße das Kernöl dazu und hebe die Zutaten mit dem Schneebesen vorsichtig unter. Den Teig streiche ich auf ein mit Backpapier belegtes Blech, das für 10 Minuten in den Ofen kommt.
Dann betreue ich das Küchentuch mit etwas Zucker. Nun muss es schnell gehen: Ich stürze den Rouladen-Teig auf das Tuch und ziehe das Backpapier ab. Die zarte Teigplatte rolle ich sofort zu einer Roulade. Eingerollt darf sie nun auskühlen.
Währenddessen schlage ich den kalten Schokoladen-Rahm mit dem Mixer steif. Die Marmelade wird leicht erwärmt, die Roulade vorsichtig entrollt. Ich bestreiche den Teig innen mit Marmelade, fülle mit Schokoladen-Rahm und rolle sie wieder zusammen. Abschließend bestreue ich den Kuchen mit Staubzucker, schneide sie auf und genieße ein, zwei oder gar drei Stücke. Von der Roulade und von der Musik.
Bergsteigen statt Golfen
Übrigens: Angesichts der US-Präsidentschaftswahlen fällt mir ein Interview ein, das der Journalist Matthias Dusini vor ein paar Jahren mit Sepp Forcher geführt hat. Forcher wurde gefragt, woher die Selbstzweifel bei den Menschen kommen: „Die kommen nur vom Lügen. Lügen ist der größte Luxus, den sich der Mensch erlauben kann, und der schwierigste. Man muss sich an jede Lüge erinnern können. Sonst wirst aufblattelt. Und da ist Bergsteigen schon eine große Hilfe. Das ist unerbittlich. Da kannst du nicht sagen, du warst auf dem Gipfel oben, wenn du nicht oben warst.“ Vielleicht sollte Donald Trump am Ende seiner Amtszeit einmal den Golfschläger ruhen lassen und einen Berg besteigen. Pfiat Gott beinand!
Zutaten für eine Roulade:
Teig: 6 Eier, 100 Gramm Zucker, Prise Salz, 25 Milliliter Kürbiskernöl, 100 Gramm Mehl, 100 Gramm gemahlene Kürbiskerne, etwas Zucker zum Einrollen
Füllung: 100 Gramm rote Beeren-Marmelade (zB Johannis- oder Brombeeren), 500 Gramm Rahm, 20 Gramm Vanillezucker, 1 Sternanis, 200 Gramm weiße Schokolade
Musik:
Album „Waunsd Woadsd“ von den Strottern aus dem Jahr 2018, Label Cracked Anegg
Album „Cherubim“ von Alma aus dem Jahr 2019, Label Trikont Musikverlag
Album „Sibylle Kefer“ von Sibylle Kefer aus dem Jahr 2019, Label sie-records
Zum Lesen:
Das Interview von Matthias Dusini mit Sepp Forcher: https://www.falter.at/zeitung/20140909/mir-wurde-nichts-geschenkt
Wow – soo genial! Danke für das tolle Rezept – obwohl es ja schon einige Kalorien hat. Aber auch ganz ganz viele GlücksHormone erzeugt. Schmeckt auch Kernölverweigerer ….