Stärkung für die Winterreise.
Zum Auftakt in die kalte Jahreszeit gibt es ein Gericht, das sich anfühlt, wie eine Umarmung. Und die können viele geplagte Seelen derzeit gut vertragen. Wenn dazu noch ein Indie-Liedermacher die „Winterreise“ von Franz Schubert auf ungewohnte Weise vertont, beginnt selbst ein nebliger November zu glänzen.
Er ist ein besonderer Monat, dieser November. Eingepfercht zwischen dem goldenen Herbst und den stimmungsvollen Festtagen des Jahresendes fristet er auf den ersten Blick ein tristes Dasein. Dabei gilt er Freunden der gepflegten Melancholie als willkommenes Zwischenstück auf dem Weg in den nahenden Winter.
Und wenn ich dieser Tage den Kragen hochkremple und mich bei Schneeregen in die Dunkelheit begebe, dann fühle ich mich mit etwas Fantasie wie der Wanderer in Franz Schuberts Winterreise (siehe Musiktipp). Doch während dieser arme Tropf ohne Ziel und Hoffnung in die kalte Nacht aufbricht, freue ich mich schon auf die Rückkehr in die warme Stube. Denn dort erwartet mich ein Kaiserschmarren mit winterlichen Gewürzen und gebratenen Äpfeln. Ein Gericht, das sich anfühlt, wie eine kräftige Umarmung.
Allein schon die Zubereitung hat etwas Therapeutisches. Denn während ich den dicken Pfannkuchen beherzt in die nötigen Stücke zerreiße, kann ich so manches verarbeiten, was in den letzten Monaten meine Nerven strapazierte: Etwa die abgründigen Chats überheblicher Machtpolitiker, die fragwürdigen Leistungen des österreichischen Fußball-Nationalteams oder die rechtsesoterischen Schwurbeleien der Corona-Leugner. So ein Schmarren, aber auch!
Bei allem Verständnis für grundlegende Sorgen und Kritik an mancher Maßnahme finde ich zwei Spezies im Kreise der Impfgegner inzwischen besonders verhaltensoriginell – und zwar einerseits jene, die ihren Körpern zwar bedenkenlos künstliche Produkte aus den Laboren der Lebensmittel-Industrie, Fast Food, Energydrinks, Schnitzel aus Tierfabriken, Instant-Kaiserschmarren in Skihütten oder Alkohol zumuten, sich aber vor einem halben Milliliter Impfstoff fürchten, wie der Teufel vor dem Weihwasser. Es geht dabei wohl längst nicht um Vernunft, sondern um Trotz, esoterisch angehauchten Egoismus und Justament-Standpunkte. Manche haben sich richtig verrannt im Corona-Nebel.
Hardlinerchen, ganz weich
Nicht weniger fragwürdiger sind die, die mit ihrem unverantwortlichen politischen Verhalten die Pandemie verlängern, die Stimmung mit ihren unsäglichen Parolen weiter vergiften und von dieser Polarisierung auch noch profitieren. Hardlinerchen, die (außer bei Corona- oder Waffen-Gesetzen) mit Vehemenz für schärfstes Recht und Ordnung eintreten, abseits der Pandemie kein Problem damit hätten, wenn eine Mehrheit die Rechte von Minderheiten einschränken würde und selbst für einen Hühnerdieb schärfste Strafen fordern. Dass sich ausgerechnet diese Minderheit der Unzufriedenen jetzt in einer Diktatur wähnt, während sie ganz selbstverständlich ihre zynischen Sprüche abliefern darf, kann nur als „Schmarren“ bezeichnet werden.
Doch es ist nie zu spät, zur Vernunft zu gelangen. Anstatt zu schwurbeln, sich als Hobby-Wissenschaftler zu betätigen und gar Pferde-Entwurmungsmittel zu empfehlen, Smileys mit hämischem Grinsen unter traurigen Facebook-Postings zu verteilen, Hasspostings zu schreiben oder Squid Games zu spielen, sollte man sich dieser Tage einen Schmarren brutzeln.
Der Kaiser und der erste Schmarren
Es gibt viele Theorien zur Herkunft des Rezeptes. Vermutet wird, dass der erste Schmarren Kaiser Franz Josef I. in der Bad Ischler Kaiservilla serviert wurde. Sei’s drum: Als Freund der parlamentarischen Republik ist mir die Herkunft völlig egal, solange das süße Erbe der Monarchie so wunderbar schmeckt.
Trotz der Einfachheit dieses Gerichtes gibt es unzählige Rezepte. Manche trennen die Eier und schlagen das Eiweiß, um ein besonders flaumiges Ergebnis zu erzielen. Das passt meines Erachtens zu einer Biskuit-Roulade, nicht aber zum zünftigen Schmarren. Hartnäckig hält sich mancherorts auch die Angewohnheit, einen Haufen Rosinen in den Teig zu rühren. Das halte ich für den größten Unfug seit Erfindung des Laubbläsers.
Ich bin bekennender Rosinen-Gegner. Selbst aus den Füllungen der Apfelstrudel zwirble ich jedes noch so versteckte Exemplar heraus, das mir ein rücksichtsloser Konditor unterzujubeln versuchte. Ich würde sogar die Gründung einer Anti-Rosinen-Bewegung befürworten. Bestimmt hätte die Erfolg – wenn es sogar eine Impfgegner-Partei in den Landtag eines Bundeslandes schafft, könnte bestimmt noch eine weitere Partei mit einem Einzel-Anliegen reüssieren.
Nun wird gekocht
Zunächst schmelzen Sie die Butter in einer Pfanne. Währenddessen können Sie das Mehl in eine Schüssel sieben und die kalte Milch unter Rühren mit dem Schneebesen einarbeiten. Wenn Sie diesen Vorgang langsam und behutsam erledigen, entstehen auch keine Klumpen, was von Vorteil ist. Dann schlagen Sie die Eier auf und ziehen sie mit einer Prise Salz, Vanillezucker und der mittlerweile geschmolzenen Butter unter die Mehl-Milch-Mischung. Und die darf dann einige Minuten ruhen.
Vanillezucker selbst gemacht
Ich nutze die Ruhepause einerseits, um Ihnen einen meiner liebsten kulinarischen Tipps zu verraten – die Eigenproduktion von Vanillezucker. Die ist einfach, macht Spaß und schont den Geldbeutel. Befördern Sie einfach ein Kilogramm Zucker mit vier ganzen, saftigen Vanilleschoten in den Mixer, schließen Sie den Deckel und häckseln die Mischung fein, ehe Sie sie in Schraubgläser abfüllen.
Der Kilopreis liegt trotz bester Zutaten bei etwa 12 Euro, während handelsüblicher Vanillezucker locker 40 Euro kostet. Und auch noch mit Aromen gepanscht wird. Das haben Probelokal-Leser/innen wie Sie geschmacklich und finanziell nicht nötig, finde ich. Übrigens wäre ein kleines Schraubglas mit hausgemachtem Vanillezucker ein kostbares und leicht herzustellendes Weihnachtsgeschenk für Ihre Lieben.
Pferde stehlen, Äpfel schälen
Und andererseits nutze ich die Stehzeit des Teiges, um die gebratenen Äpfel zuzubereiten. Ich schätze die Sorte Boskop dafür sehr. Ein Glück, dass meine Eltern kistenweise davon geerntet haben. Ich schäle den Apfel, befreie ihn vom Gehäuse, schneide ihn in kleine Stücke und beträufle diese mit Zitronensaft. Ich zerlasse die Butter in einer beschichteten Pfanne, rühre den Zucker ein und gebe die Apfelstücke dazu. Unter Rühren brät die Mischung höchstens für eine Minute, ehe ich mit einem Schuss Apfelbrand (zB Calvados) ablösche, mit Zimt abschmecke und in einer Schüssel bis zur weiteren Verwendung rasten lasse.
Dann wird es richtig ernst, denn nun wird der Schmarren gebacken. Dazu erhitzen Sie in einer Pfanne – am besten geeignet ist eine große, beschichtete Bratpfanne – das Öl. Etwas mehr als mittlere Hitze ist angebracht. Dann gießen Sie den Teig ein und warten ein paar Minuten. Die Unterseite sollte fest und gebräunt sein, ehe Sie sich ans Wende-Manöver wagen. Das geht am Einfachsten, in dem Sie den Teig vierteln und jedes der vier Stücke einzeln mit dem Pfannenwender umdrehen. Geübte unter Ihnen können natürlich mit kräftigem Schwung den ganzen Pfannkuchen in die Luft werfen und drehen lassen.
Dann wird auch die Rückseite braun angebacken, eher der Teig beherzt in Stücke gerissen wird, zB mit den Pfannenwendern. Ich schiebe die Schmarren-Stücke dann immer an den Rand der Pfanne, um in der Mitte den Kristallzucker zu schmelzen. In dieses entstandene Karamell kommen dann die vorbereiteten, gebratenen Äpfel. Ist der gesamte Pfanneninhalt gut durchgerührt, finalisiere ich mit einer Prise Zimt und dekorativem Staubzucker.
Als Begleitgetränk empfehle ich eine Tasse Apfelpunsch, die ich bereits in der Rezeptgeschichte „Apfelpunsch und Zimt-Popcorn“ im Dezember 2020 vorgestellt habe.
Ungewohnte Schubert-Interpretation
Und natürlich gibt es im Probelokal immer die passende Begleitmusik. Die heute empfohlenen Klänge wurden bereits vor fast 200 Jahren erdacht, und zwar von Meister Franz Schubert höchstpersönlich. Mein Vater schätzt seine Lieder sehr, und deshalb kenne ich seit meiner Kindheit auch den Liederzyklus „Winterreise“. Franz Schubert hat ihn erst kurz vor seinem frühen Tod im Jahr 1828 – er wurde nur 31 Jahre alt – fertiggestellt.
Da einer meiner vielen Lieblingsmusiker, nämlich der Indie-Liedermacher Gisbert zu Knyphausen, das Experiment gewagt hat, Schubert-Lieder zu interpretieren, musste ich mir das Album „Lass irre Hunde heulen“ zulegen. Es begleitet mich durch diesen November. Und zwar mit Liedern wie „Der Wegweiser“, „Du bist die Ruh“ oder „Gute Nacht“. Und die wünsche ich Ihnen nun auch, falls Sie gerade schlafen gehen.
Zutaten:
Kaiserschmarren: 5 Eier, 200 Gramm Mehl, 400 Milliliter Milch, 50 Gramm Butter, Prise Salz, 10 Gramm Vanillezucker, 20 Gramm Kristallzucker, kräftige Prise Zimt, 20 Gramm Staubzucker, Schuss neutrales Öl zum Anbraten
Gebratener Apfel: 1 Großer Apfel, ein wenig Zitronensaft, 20 Gramm Butter, 20 Gramm Zucker, Schuss Apfelbrand, Prise Zimt
Tipp – Vanillezucker: 1 Kilogramm Rohrzucker und 4 saftige Vanilleschoten
Musik:
Album „Lass irre Hunde heulen“ von Gisbert zu Knyphausen und Kai Schumacher aus dem Jahr 2021, Label „Neue Meister“
Lieber Dan!
Wie treffend du wieder alles erläutert hast. Wie Recht du hast. Eingebettet zwischen den kulinarischen Köstlichkeiten. Dem ist wirklich nichts hinzuzufügen. Mach weiter so. Lg Steff
Herrlich! LG Lisa
Hallo lieber Dan,
ein Musiktipp von mir, der ebenfalls Schuberts Winterreise betrifft:
Die CD heißt „Winterreise“ von Roland Neuwirth und Stephan Krumpöck.
Roland Neuwirth hat die Texte verfasst und singt, Stephan Krumpöck begleitet am Klavier.
Für mich ist diese CD ein Meisterwerk und wird dem Meisterwerk Schuberts gerecht.
Wer immer sich diese Musik anhört – viel Vergnügen!
Herzliche Grüße.
Martina
Danke für den Tipp! Höre ich mir gerne an.