Bittersweet Symphony.
Zum Auftakt des neuen Jahres widme ich mich der Grapefruit. Ich vergelte quasi Gleiches mit Gleichem, in dem ich der drohenden Verbitterung mit frischen, bitteren Zitrusfrüchten begegne. Und mit Neujahrsmusik, der nachgesagt wird, dass sie Herzenskälte für immer heilen soll.
Herrlich süß und fett waren sie wieder einmal, die Festtage. Fondue und Kekse feierten fröhliche Urständ. Und wenn sie schon nicht den Gürtel lockerten, dann wenigstens die Anspannung der letzten Wochen des mühsamen Jahres 2021.
Doch nun kommt wieder die Saure-Gurken-Zeit. Letzten Jänner bin ich noch in Vorfreude auf ein baldiges Ende der Pandemie ins Jahr gestartet. Ein „Sommer wie damals“ hätte folgen sollen, wenn es nach unserem damaligen Bundeskanzler gegangen wäre.
Übrigens eben jenem, der vorgab, aufgrund seines Familienglücks aus der stressigen Politik auszusteigen, um kurz darauf in der Investmentfirma des Milliardärs und Trump-Unterstützers Robert Thiel in den USA anzuheuern. Diese Job-Wahl hat es in sich, wie Falter-Herausgeber Armin Thurnher in seiner aktuellen Seuchenkolumne treffend beschreibt.
Gedämpfte Erwartungen
Egal. Seine Selbstvermarktung und die vielen moralischen Fragezeichen brauchen uns nicht mehr zu beschäftigen. Wahrscheinlich ist es ohnedies besser, mit gedämpften Erwartungen das Jahr 2022 zu beginnen. Dann wird es vielleicht besser, als erwartet!
Im Probelokal beginnt das Jahr jedenfalls – passend zum Weltgeschehen – mit bitteren Früchten. Ich greife tief in die Kiste mit den Grapefruits. Und staune, was man zu dieser Jahreszeit für guten Geschmack aus den saftigen Früchten holen kann.
Eine ausgepresste Grapefruit mit Mineralwasser ist etwa das beste Erfrischungsgetränk, das der Winter zu bieten hat. Etwas ausgiebiger ist die hausgemachte Grapefruit-Limonade, deren Zubereitung ich Ihnen heute ans Herz lege. Und bittersüß schmecken die niedlichen Grapefruit-Pies, die der winterlichen Kaffee-Tafel Grandezza verleihen.
Mit Streicher-Klängen ins neue Jahr
Für die musikalische Umrahmung sorgt diesen Jänner das Parker-Quartet aus Boston. Die ZEIT-Journalistin Christine Lemke-Matwey lobte deren neues Album kürzlich mit den Worten: „Wer unter Herzenskälte und Konzentrationsmangel leidet, wird hier geheilt. Für immer.“ Das machte mich neugierig. Deshalb spielt das Grammy-prämierte Streicher-Ensemble heuer das Neujahrs-Konzert im Probelokal.
Die Werke des ungarischen Komponisten Gyorgy Kurtág gehen nicht ohne Anstrengung in die Ohren, die nach den opulenten Feiertagen noch etwas schlapp am Kopf herum hängen. Sie spitzen sich aber spätestens dann, wenn die Stücke von Antonín Dvořák erklingen, bei denen das Parker Quartet von Kim Kashkashian verstärkt wird – einer amerikanischen Bratschistin armenischer Abstammung, die keinesfalls mit dem fast gleichnamigen Reality-TV-Promi verwechselt werden sollte.
Hausgemachte Erwachsenen-Limonade
Während die Streicher ihr Bestes geben, rühren Sie die Limonade an, die Sie über den Winter retten wird. Dafür machen Sie mit den Grapefruits und der Zitrone das, was sonst nur der Friseur mit Ihren Haaren tut: Heiß waschen und trocknen. Dann werden die Schalen fein abgerieben, der Ingwer geschält und fein gehackt. Halbieren Sie die Zitrusfrüchte und pressen Sie den Saft aus.
Die geriebenen Schalen, der Ingwer und der Saft werden mit dem Rohrzucker erhitzt. Lassen Sie die Mischung bei geringer Hitze eine Viertelstunde unter gelegentlichem Rühren köcheln. Am Ende geben Sie die Kräuter oder Gewürze dazu, decken den Topf ab und schalten den Herd aus. Dann kann die Mischung auskühlen, ehe sie durch ein feines Sieb gegossen wird.
Den entstandenen Sirup können Sie an den Folgetagen mit Mineralwasser aufgegossen als herrlich-herbe Limonade genießen. Oder in Fläschchen abfüllen, damit Sie gestärkt durch die Wintermonate kommen, ehe der Frühling mit Erdbeeren, Rhabarber und neuen Öffnungsschritten wieder für Erleichterung sorgt.
Kleine Winter-Küchlein
Für die Pies müssen Sie zunächst den Mürbeteig herstellen. Das empfinde ich stets als eine der unattraktivsten Tätigkeiten in der Küche. Aber sie muss sein, denn die Grapefruit-Füllung braucht eine sattelfeste Unterlage. Deshalb verknete ich Mehl, Butter, Staubzucker, Salz, Haselnüsse und Ei miteinander, bevor ich den Teig einige Stunden – am besten über Nacht – zugedeckt pausieren lasse.
Am nächsten Tag schnappe ich mir ein Muffinblech, dessen Mulden ich mit wenig weicher Butter ausstreiche (Sie können auch einzelne feste Förmchen nehmen). Auf einer bemehlten Arbeitsfläche rolle ich den Mürbeteig aus, steche Kreise aus und lege diese in die Förmchen.
Die Teigkreise sollen nicht nur den Boden der Förmchen bedecken, sondern auch einen Teil des Randes. Schließlich braucht die Füllung eine feine Umrandung. Die kleinen Teig-Förmchen werden nun bei 160 Grad Umluft für gut 10 Minuten vorgebacken. Danach kommen sie wieder aus dem Ofen, um mit der Füllung gekrönt zu werden. Reduzieren Sie die Ofen-Temperatur zwischenzeitlich auf 90 Grad Umluft.
Auf die Füllung kommt es an
Für die Füllung wird die Grapefruit heiß gewaschen und abtrocknet, ehe die Schale fein in einen kleinen Topf gerieben wird. Das kennen Sie bereits von der Limonade. In den Topf kommen nun der gepresste Saft (rund 150 Milliliter) der Zucker und die Prise Salz. Das Ganze wird langsam erhitzt, ehe die aufgeschlagenen Eier und der Rahm nach und nach eingerührt werden.
Die Mischung wird nun unter ständigem Rühren vorsichtig erhitzt. Damit Sie kein fruchtiges Rührei bekommen, müssen Sie die Temperatur gut überwachen. Das gelingt am besten mit einem Küchenthermometer. Die Füllung sollte nach ein paar Minuten nicht mehr als 70, maximal 75 Grad warm sein.
Dann sieben Sie die Crème und verteilen sie mit einem Löffel in die vorgebackenen Mini-Tartes. Bei den eingestellten 90 Grad Umluft werden die Tartes nun für gut 30 Minuten weiter gebacken, damit die Füllung fest wird. Dann schalten Sie den Ofen aus und lassen die Tartes etwas nachziehen. Später können Sie die kleinen Feinheiten vorsichtig mit einem dünnen Messer aus der Form heben, mit geschlagenem und gezuckertem Rahm und etwas gehackten Pistazien garnieren.
Nervige Pandemie
Vielleicht helfen die bittersüßen Tartes über die kommenden Wochen, in der uns die Pandemie weiter auf die Nerven gehen wird. Ich freue mich schon sehr auf die Zeit „danach“, wenn das Tragen der Maske und das wiederholte Impfen und ständige Testen ein Ende haben und endlich wieder wunderbar entspannte Konzerte anstehen.
Jedoch merke ich, dass mich die Einschränkungen und gesundheitlichen Sorgen inzwischen weniger beschäftigen, als die gesellschaftlichen Auswirkungen. Denn manche Menschen haben sich in den sozialen Medien verloren und eine alternative Wahrheit zusammen gezimmert, die mit vernünftiger Kritik an politischen Maßnahmen und berechtigter Sorge vor gesundheitlichen Nebenwirkungen nicht mehr viel zu tun hat.
Die marschierende Mischung aus Staatsverweigerern und Verfassungsfeinden, manchem Alt-68er, der seine Zeit nochmals gekommen sieht, und esoterischen Gurus, die im Namen der Liebe und des Lichts um sich selbst und die Demagogen am Rednerpult kreisen, die hat es in sich.
Die Extremisten genießen es, wenn plötzlich auch normale, besorgte Menschen mitlaufen und die Politik vor sich her treiben wollen. „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, heißt es oft. Eben! Man darf sogar jeden Blödsinn sagen. Und ihn in manchen Kanälen sogar posten und virusartig in der Welt verbreiten. Deshalb nervt das Gehabe manchmal so. Und es ist gefährlich.
Dabei geht es längst nicht mehr nur um eine Pandemie – vielmehr klammern sich die über Jahre aufgestaute Politik-Verdrossenheit und der Wohlstandsfrust an so ein Ereignis. Und offenbar bietet sich manchen die bedenkliche Chance, sich auf gemeinsame Gegner in Wissenschaft, Medien oder Politik einzuschwören. Wenn es doch nur so einfach wäre!
Neujahrswünsche
Bevor ich mir nun ein Glas Grapefruit-Limonade einschenke, deponiere ich noch die Anliegen ans neue Jahr, die über das Ende der Pandemie und den Wunsch nach gesellschaftlichem Frieden hinausgehen.
So möge im Jahr 2022 niemand in einem Möbelhaus ein Cordon-Bleu um 5 Euro bestellen und damit das Preisdumping bei Fleisch unterstützen. Nicht noch ein Nachbar soll einen Laubbläser anschaffen. Der FC Bayern soll nur Vizemeister werden. Es soll keine vorgezogenen Nationalratswahlen geben. Und niemand möge mir bitte einen Kaiserschmarren mit Rosinen servieren.
„Maybe this year will be better than the last“ singt Adam Duritz von den Counting Crows im Lied „A Long December“. Prosit Neujahr – bleiben Sie zuversichtlich, kritisch, froh und vernünftig!
Zutaten
Grapefruit-Limonade: 3 Grapefruits, 1 Zitrone, 200 Gramm Rohrzucker, ein kleines Stück Ingwer, Prise Salz, Kräuter oder Gewürze nach Wahl
Grapefruit-Pies: für den Mürbeteig 250 Gramm Mehl, 150 Gramm Butter, 30 Gramm geriebene Haselnüsse, 1 Ei, Prise Salz; und für die Crème 1 Grapefruit, 150 Gramm Zucker, 150 Milliliter Rahm, 4 Eier, Prise Salz. Zur Dekoration 100 Milliliter Rahm, 1 Esslöffel Staubzucker, 1 Esslöffel gehackte Pistazien
Musik
Album „Kurtág, Dvořák“ aus dem Jahr 2020 des Parker Quartets mit Kim Kashkashian, Label ECM
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