Die Suppe zum November-Blues.
Kastaniensuppe und Eva Cassidy wärmen das Herz
Jetzt ist es also schon wieder passiert. Klimaaktivist:innen haben ein Kunstwerk mit Suppe beworfen, um die Welt zu retten. Während ich hoffe, dass es noch elegantere Wege gibt, um die Menschen vom ungezügelten Verbrauch fossiler Energie abzuhalten, irritieren mich selbst die Details der Aktion:
Warum wurden Van Goghs „Sonnenblumen“ in der Londoner Nationalgalerie ausgerechnet mit zwei Dosen Tomatensuppe beworfen? Vielleicht lag es ja einfach am blassen Fertigprodukt aus der Konserve. Es wäre schließlich viel zu schade, hausgemachte Suppe der Saison über ein Kunstwerk zu schmettern.
Etwa die Kastaniensuppe, die ich Ihnen heute nachdrücklich ans Herz lege. Es ist für mich die drittbeste Art, Kastanien zu verarbeiten. Am besten schmecken sie pur, wenn sie über offenem Feuer geröstet wurden. Am zweitbesten als süße „Vermicelles“ auf karamellisierten Törtchen. Und der Stockerlplatz auf dem Kastanien-Treppchen geht an diese würzig-cremige Suppe. Ein November ohne Kastanien wäre schließlich wie eine Fußball-WM ohne Spanien.
Steirische Lieferung
Wie gerne erinnere ich mich an die jährlich wiederkehrenden Höhepunkte meiner Kindheit: Den Geburtstag, den Heiligen Abend und den letzten Schultag vor den Ferien. Und natürlich an die Ankunft eines Paketes aus der Südsteiermark. Onkel Franz schickte uns nämlich jedes Jahr einen prall gefüllten Sack mit wild gesammelten Kastanien. Das war ein Feiertag.
Papa briet sie im Garten auf offenem Feuer. Wie das knisterte und duftete! Und immer dann, wenn ich mir beim Öffnen der Schale die Finger verbrannte, erinnerte mich Goti an ihren Geheimtipp: Die Finger kühlen nämlich am besten, wenn man sie fest an die Ohrläppchen presst. Das mache ich noch heute.
Ab in den Topf
Für diese Suppe verwende ich geschälte, vakuumierte Kastanien. Sie sind inzwischen ganzjährig im Handel erhältlich. Man könnte die Suppe also theoretisch auch im Frühling zubereiten. Aber ich versichere Ihnen: Sie schmeckt nur im November! Und die Zubereitung ist denkbar einfach.
Ich zerlasse die Butter im Topf, hacke die Zwiebel und brate sie unter Rühren an. Dazu kommen nach zwei, drei Minuten der Großteil der Kastanien (ein paar lege ich als Suppeneinlage auf die Seite) sowie der Zucker oder der Honig. Kurz darauf lösche ich mit dem Portwein ab und lasse ihn einkochen.
Dann gieße ich mit kräftiger, klarer Suppe auf. Am liebsten verwende ich selbst gekochte Hühnersuppe, aber auch Gemüse- oder Rindssuppe tun ihren Dienst. Nachdem die Mischung zwanzig Minuten auf kleiner Flamme köcheln durfte, verfeinere ich mit Rahm und püriere die Suppe mit dem Mixstab. Mit etwas Zitronensaft, Salz, Pfeffer und einer markanten Prise Zimt verleihe ich ihr den letzten Schliff.
Die zuvor übrig gelassenen Kastanien schwenke ich mit Butter und einer Prise Zucker in der Pfanne. Sie dürfen als Krönung mit etwas Schnittlauch in die Suppe. Beim genüsslichen Schlürfen fühlt es sich an, als ob sich eine warme Decke um die Schultern legt.
Musik zur Krönung
Verstärkt wird das Gefühl noch von der Musik von Eva Cassidy. Kürzlich bin ich beim Stöbern in meinem Plattenschrank auf ihr Album „Simply Eva“ gestoßen. Darauf befinden sich zauberhafte Klänge voller Blues und Folk. Cassidys Interpretation von „Autumn Leaves“ passt etwa wunderbar zu diesen Herbsttagen.
Traurig, dass die amerikanische Musikerin bereits kurz nach Veröffentlichung ihres ersten Albums nach schwerer Krankheit sterben musste. Ihre Musik klingt jedoch für immer weiter – und wie! Stärkende Musik braucht es auch, um die aktuellen Krisen zu überstehen. Denn der kalte Wind, den die Populisten und Vereinfacher in der Politik gerade anfachen, trifft in angespannten Zeiten auf viele verunsicherte Menschen.
Aufgepasst, Demokratie
Das ist leider im Sinne der vielen, lauten Despoten und Demokratie-Verachter, egal ob sie in Moskau, Peking, Brasilia oder im architektonisch fragwürdigen Anwesen von Mar-a-lago sitzen. Deren Propaganda verfängt sich über soziale Medien bei viel zu vielen Menschen.
Das geht soweit, dass sogar in unseren Breiten Menschen auftauchen, die Verständnis für den russischen Angriffskrieg äußern. Die hinter den mutigen Protesten im Iran westliche Unruhestifter vermuten und fast schon Mitleid mit den grimmigen Mullahs zu haben scheinen. Und die in Österreich trotz der Nachrichten aus London für einen EU-Austritt stimmen würden.
Noch nie war ich so froh, in der EU zu leben und auf Rechtstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte zählen zu können. Auch wenn vieles zu verbessern ist. Aber es steht viel auf dem Spiel, wenn wir im freien Westen jetzt nicht wachsam sind. Gut, dass EU-Kommissar Thierry Breton auf den Tweet „The bird is free“ von Ober-Disrupter Elon Musk antwortete: „In Europe, the bird will fly by our rules.“
Ich bin dankbar über alle Menschen, die die Gefahren aufdecken und alle Hände damit zu tun haben, um auf die Demokratie aufzupassen. Sei es in der Präsidentschaftskanzlei der Hofburg oder in Institutionen wie der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Oder in den Redaktionen seriöser Medien.
Und es ist heilsam, wenn dabei nicht der Humor verloren wird. Etwa in der großartigen „Heute Show“ mit Olli Welke oder dem eindrucksvoll investigativen „ZDF Magazin Royal“ mit Jan Böhmermann. Diesen engagierten Leuten ist diese Kastaniensuppe gewidmet. Und heute im Speziellen auch allen Reinigungskräften in den Museen, die derzeit besonders viele Kunstwerke sauber wischen und den Superkleber der Aktivist:innen von den Wänden kratzen müssen.
Die Welt war schon immer verrückt, nur wissen wir es jetzt schneller und von jedem. Sie ist trotzdem wunderbar. Deshalb müssen wir gut auf sie aufpassen. Auf das Leben! Auf die Kastaniensuppe!
Zutaten: 500 Gramm gegarte Kastanien, 800 Milliliter kräftige Suppe (am besten Hühnersuppe), 20 Gramm Butter, 1 Zwiebel, 1 Teelöffel Zucker (oder noch besser: Kastanienhonig), 50 Milliliter roter Portwein, 150 Milliliter Rahm, ½ Zitrone, Salz, Pfeffer, Zimt, Schnittlauch
Musik: „Simply Eva“ von Eva Cassidy aus dem Jahr 2011, Label Blix Street
Lieber Daniel
Meine „Stockerlreihung“ der Maroniverarbeitung hat genau dieselbe Anordnung. Gibt es die Maronipfanne deiner Kindheit noch?
Die Maroni aus meinem Garten waren dieses Jahr schon Anfang Oktober reif. Wenn meine Ernte nächstes Jahr wieder so ein Segen ist, hätt ich die Pfanne deiner Kindheit gern ausprobiert. Ich bräuchte sie dann im Oktober, denn diejenigen die ich für Allerheiligen im Kühlschrank aufgespart habe, waren zur Hälfte verdorben. Den Fehler mach ich kein zweites Mal.
Vor mehr als zwanzig Jahren aß ich zum ersten Mal eine Maronisuppe . Es war am Walensee in einem kleinen Restaurant mit nur vier Tischen. Der Koch kochte so fantastisch, wie seine Frau servierte. Beim Abschied verriet er uns sein Rezept . Er tat es mündlich und wir kamen damals fast an seine Version heran. Er „löschte“ mit Rotwein und statt Zimt gabs Julienne aus Sellerie und Karotte als Topping.
Seit damals ist diese Suppe einer meiner Herbstlieblinge. Denk ich bin schon zu lange in diese Kombination verliebt, als dass der Zimt eine „Konkurrenz“ werden kann.
Nachbarschaftliche Grüße Inge