Frühlingsgemüse-Gefühle.

Mitleid führte unlängst zum Fenchel-Großeinkauf. Zwar stieß das darauffolgende vegane Mittagessen bei den Kindern auf wenig Begeisterung – doch dafür erkannte ich, was kleine Turbulenzen am Küchentisch mit der großen Weltpolitik zu tun haben.

Beim Streifzug durch den Supermarkt stieß ich unlängst auf ein Regal voller Fenchelknollen. Fast taten sie mir leid, so zahlreich und unangetastet, wie sie dalagen. Man kann doch diesen Gemüseberg nicht einfach so dahinkompostieren lassen, dachte ich – und langte zu.

Fenchel fristete bis dahin ein Mauerblümchen-Dasein in der Gemüse-Abteilung. Nie würdigte ich ihn eines Blickes. Er steckte in derselben kulinarischen Schublade wie Zwieback oder Kamillentee. Hilfreich höchstens bei Bauchweh, doch selbst da waren mir die geheimen Zaubermittel Cola und Salzstängel stets lieber.

Doch nun lag das Gemüse in der Küche und wollte verwertet werden. Bei der hauseigenen Jugend hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Gesunde Ernährung, Klima-Entwicklung und Tierschutz in Ehren, aber muss es ausgerechnet Fenchel sein? So stand es in den Gesichtern der Kinder geschrieben. Und ja, es muss. Einmal im Jahr wenigstens, mitten in der Fastenzeit.

Bei diesem Anblick hielt sich die Begeisterung der Jugend in Grenzen.

Es geht los
Dazu werden zunächst die Fenchelknollen gewaschen und die grünen Stangen etwas gekürzt. Ich brate das Gemüse zuerst scharf von allen Seiten an, dazu verwende ich einen ofentauglichen Schmortopf und einen kräftigen Schuss Olivenöl.

Nach wenigen Minuten gebe ich die fein geschnittene Zwiebel und den Knoblauch dazu, rühre ein paarmal durch und lösche mit dem Weißwein ab. Das duftet herrlich und köchelt nun für ein paar Minuten ein.

Dann gieße ich den Fond oder die Suppe ein, lasse die Flüssigkeit aufkochen, salze kräftig und stelle den Topf bei 160 Grad Umluft für eine halbe Stunde in den Backofen, um den Fenchel seinem schmorenden Schicksal zu überlassen.

So stolz stehen sie im Ofen, die grünen Knollen.

Die richtige Unterlage
Zwischenzeitlich kümmere ich mich um die Unterlage des Fenchels, den scharfen, frühlingshaften Nudelsalat. Klingt altmodisch, schmeckt aber großartig. Dazu koche ich gesalzenes Wasser auf und gare die Nudeln nach Packungsanweisung. Bei mir sind es oft Fregola Sarda, kleine Nudel-Kügelchen aus Sardinien.

Die restliche Fenchelknolle und die Zwiebel schneide ich mit dem Gemüsehobel in möglichst dünne Scheibchen. Die werden nun in einer beschichteten Pfanne in Olivenöl unter Rühren scharf angebraten. Sind die Nudel fertiggekocht, werden sie abgeseiht und mit Zitronensaft, Olivenöl, Salz, Pfeffer und Paprikapulver würzig mariniert. Dazu kommen noch fein geschnittene Radieschen, Chili und das gebratene Fenchel-Zwiebel-Gemüse.

Den Nudel-Gemüsesalat richte ich auf Tellern an, um den heißen Fenchel direkt aus dem Schmortopf darauf zu setzen. Mit etwas grobem Meersalz, ein paar Spritzern Olivenöl, Zitronensaft und Schmorflüssigkeit wird finalisiert.

Die fein gehobelten Fenchel- und Zwiebelstreifen werden in Olivenöl scharf angebraten.

Majestätisch gebettet auf einen scharfen Nudelsalat macht die Knolle eine ordentliche Figur. Zumindest in der Fastenzeit. Zu den Leibgerichten wird sie jedoch nie zählen. Die Kinder brachten es wie immer schonungslos auf den Punkt: Der Nudelsalat würde auch ohne Fenchel schmecken.

Weltpolitik am Küchentisch
Mit dem köstlichen Nudelsalat lässt sich am Küchentisch ein weltpolitisches Experiment beobachten, das ich den fragwürdigen Friedensaktivistinnen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer empfehlen würde. Langt etwa ein hungriges Kind einem weiteren hungrigen Kind in den Teller, um einen ordentlichen Teil des begehrten Nudelsalats zu stibitzen, dann kommt das Geschehen in Fahrt.

Je nach allgemeiner Stimmungslage und Mondkonstellation entsteht dann, zumindest im Probelokal, ein kleiner Streit. Mit hungrigen Kindern, denen etwas vom Teller genommen wird, ist nämlich nicht zu spaßen. Da könnte man auch gleich das Smartphone verstecken oder gar Snapchat löschen.

Was ist, wenn sich der Bestohlene wehrt und nicht einfach zur Kenntnis nehmen will, dass jemand mit Ellenbogen-Mentalität von seinen Nudeln Besitz ergreift? Dann könnte man natürlich – wie es Wagenknecht und Schwarzer vermutlich tun würden – Verständnis für den Aggressor aufbringen und die beiden Streithähne zu Friedensverhandlungen auffordern. Hauptsache, es kehrt bald wieder Ruhe ein.  

Tragfähiger Frieden
Doch wie kommt der Bestohlene dazu, die aufgezwungenen Besitzverhältnisse zu akzeptieren und sich wehrlos zu ergeben? Darf sich jeder nehmen, was er will? Nein! Vielleicht darf man am Küchentisch und auf dem Weg zum Frieden nicht zu naiv sein. Wenn „Aufstand für den Frieden“ heißt, Verständnis aufzubringen für einen imperialistischen Diktator, der das Weltgeschehen zurückdrehen will, dann wird daraus kein tragfähiger Frieden, den wir uns alle sehnlichst wünschen. Sondern die Einladung zum fortwährenden Stibitzen.

Wer sein Weltbild mit Informationen aus Medien wie Putins RT, dem rechten Wochenblick oder Auf1 zusammenzimmert und es sich in der Welt der Verschwörungstheorien eingerichtet hat, würde vermutlich noch Schlimmeres vermuten: Etwa, dass das bestohlene Kind sowieso immer von den Hubschrauber-Eltern bevorzugt wird und der Nudel-Klau doch nur eine verständliche Abwehrreaktion sein könnte. Oder dass es vielleicht auch nur eine Marionette dunkler Mächte ist, die die eigentliche Schuld am Dilemma tragen und geheime Pläne verfolgen.

Dabei wäre es doch gar nicht so kompliziert – weder am Küchentisch, noch in der Weltpolitik: Man nimmt anderen einfach nichts weg, man überfällt andere nicht und geriert sich zur Krönung auch noch als Opfer. Ich bin für Freiheit und Selbstbestimmung am Küchentisch und in der Geopolitik. Veit Dengler schrieb kürzlich im Standard: „Frieden wird erst möglich, wenn Russland zur Erkenntnis kommt, dass Aggression nicht lohnt.“

Das Putin-Verständnis der lauten Minderheit vom rechten und linken Rand nervt. Aber wenigstens dürfen in den westlichen Demokratien solche Positionen laut geäußert werden, ohne eingesperrt zu werden. Würde das am Roten Platz auch gehen?

Eines ist klar: Weder Kinder, die streiten, noch kämpfende Akteure in der Weltpolitik sind unschuldige Schäfchen. Die komplexe Welt liegt irgendwo im Graubereich. Und nicht bei Schwarz oder Weiß. Selbstkritik ist auf allen Seiten gefragt. Man könnte sich ja irren und zu wenig wissen, um sich ganz sicher zu sein, wo die Trennlinien zwischen Gut und Böse verlaufen. Dennoch wurde mir selten so klar, wie bedeutend mir unsere westlichen Werte sind. Trotz aller Schwierigkeiten.

Trotzdem Musik
Fast hätte ich vor lauter Fenchel und weltpolitischer Unruhe die Vorfreude auf den Frühling vergessen. Und den Musiktipp! Gut, dass es Depeche Mode gibt. Die Band fasziniert mich seit Jahrzehnten. Kaum jemand anderer macht so schöne, düstere Musik mit Titeln wie „Enjoy The Silence“, einem der wichtigsten Popsongs aller Zeiten, oder dem unterschätzten, aber wunderbaren „Broken“.

Ein wenig habe ich mich in den letzten Jahren entfremdet, zu established sind sie mir geworden, zu austauschbar die Musiker um Sänger Dave Gahan und Mastermind Martin L. Gore. Und zu teuer sind mir die Karten für die kommende Tour.

Doch eines hat sich dieser Tage wieder gezeigt: Kaum höre ich die neue Single „Ghosts Again“ aus dem bald erscheinenden Album „Memento Mori“, dann packt es mich wieder. Sie sind einfach gut. Und es gibt kaum etwas Schöneres und Tröstlicheres, als melancholische Musik. Erst recht, wenn sie aus der Feder von Martin L. Gore stammt.

Zutaten für zwei Personen:
Geschmorter Fenchel: 2 Fenchel, 1 Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, 100 Milliliter Weißwein, 200 Milliliter klarer Gemüsefond oder Suppe, Salz, Pfeffer, Olivenöl, Zitronensaft

Nudelsalat: 300 Gramm kleine Nudeln, zB Fregola Sarda, 1 Fenchel, 1 Zwiebel, 1 Chilischote, ein paar Radieschen, Salz, Pfeffer, geräuchertes Paprikapulver, Saft einer Zitrone, Olivenöl (1,5-fache Menge des Zitronensaftes)

Musiktipp:
Album „Memento Mori“ von Depeche Mode (erscheint am 23. März 2023), Labels Columbia und Mute

Post Author: Dan

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