Hier fehlt nur das Hirschgulasch.
In meiner Kindheit gehörte es zur Tradition, dass Oma Martina zum Martinstag einen großen Topf Hirschgulasch kochte. Zwar freute ich mich jedes Jahr auf den geselligen Anlass und die obligatorische Limonade „Traubisoda“, die anlässlich des Festessens serviert wurde. Doch der markante, herbe Geschmack des Wildes behagte mir ganz und gar nicht. Stattdessen stürzte ich mich auf die Beilagen.
Egal ob Spätzle oder Kroketten, ob Bandnudeln, Knödel oder Reis: Alles, was gemeinhin als „Sättigungsbeilage“ verunglimpft wird, gehört für mich noch heute zu den Hauptdarstellern auf dem Teller. Erst recht die selbstgewuzzelten Schupfnudeln, die ich Ihnen heute ans Herz lege. Gebettet auf einen Berg geschmortem Blaukraut wird daraus ein wunderbares November-Essen.
Blaukraut bleibt Blaukraut
Herumprobiert habe ich an diesem Rezept schon im August. Da überreichten mir meine Eltern einen großen Kopf Blaukraut aus ihrem Garten. Die Hälfte verarbeitete ich zu einem sommerlichen, scharfen Salat mit Limette und Chili. Das war schon fein. Und den Rest schmorte ich mit Blick auf den November mit Äpfeln, Wein und Gewürzen zu kräftigem Blaukraut. Und ich muss sagen: Das war noch feiner!
Die Zubereitung beginnt idealerweise schon am Vortag: Da viertle ich den Krautkopf, schneide den Strunk weg und hoble das Kraut fein in eine große Schüssel. Dazu rasple ich die Äpfel, und auch Wein, Saft, Marmelade, Essig und Salz gesellen sich zum Kraut. Nach dem kräftigen Durchrühren decke ich die Schüssel ab und wünsche dem Kraut und seinen Freunden einen guten Schlaf. Ebenfalls am Vortag koche ich die ungeschälten Kartoffeln in Salzwasser weich. Nach dem Abseihen können sie über Nacht auskühlen.
Am nächsten Tag schäle ich die Zwiebeln, danach schneide ich sie in feine Streifen. In Butterschmalz brate ich sie langsam an, etwas Rohrzucker sorgt für Farbe und eine feine Karamellnote. Nun kommt das Kraut mitsamt der Marinade dazu. Ich koche die Mischung auf und lasse sie bei geringer Temperatur eine Stunde köcheln. Zwischendurch wird umgerührt. Danach kommen die Gewürze dazu ebenso etwas Honig, Butter, Salz und Pfeffer.
Gewuzzelt und geschupft
Dann schenke ich meine ganze Aufmerksamkeit den Schupfnudeln: Dazu schäle ich die Kartoffeln und drücke sie mit einer Kartoffelpresse in eine große Schüssel. Ergänzt durch Mehl, Stärke, Dotter, Salz und ein paar Prisen Muskatnuss verknete ich sie flott zu einem Teig. Von ihm nehme ich Stücke ab und rolle sie mit etwas Mehl zu ca. 1 cm dicken Strängen.
Davon schneide ich kleine Stücke ab und wuzzle sie mit den Händen zu kleinen, feinen Schupfnudeln. Das ist eine angenehme Handarbeit. Die Nudeln schupfe ich nun portionsweise in siedendes Salzwasser, darin werden sie rund 2 Minuten gegart, abgeschöpft und kurz mit kaltem Wasser abgespült. In einer beschichteten Pfanne in etwas Butter oder Öl brate ich die Schupfnudeln goldbraun an und richte sie auf dem Kraut an.
Nur das Hirschgulasch, das müssen Sie sich dazu denken. Mir genügen heute nämlich Kraut und Schupfnudeln. Packt mich trotzdem einmal die Fleischeslust, schmore ich mein etabliertes Rindfleisch in Rotwein, das ich vor fünf Jahren auf dieser Seite vorgestellt habe.
Hoch lebe die Steel Guitar
Der Musiktipp ist einem exzellenten Vertreter seiner Zunkft gewidmet, dem es in gewisser Weise so geht, wie den Sättigungsbeilagen: Er spielt nämlich meist die Nebenrolle, obwohl er in den Mittelpunkt gestellt gehört. Die Rede ist von Jerry Douglas. Mit seiner American Dobro und der Lap Steel Guitar agiert er auf den Bühnen von Musikgrößen wie Paul Simon (etwa bei The Boxer), Mumford & Sons oder Alison Krauss (zB bei Carolina In My Mind). Meist in zweiter Reihe.
Doch ohne ihn wäre die alternative Folk- und Countrymusik ein großes Stück ärmer. Mit John Hiatt, einem Songwriter mit äußerst markanter Stimme, hat Jerry Douglas vor zwei Jahren das Album „Leftover Feelings“ aufgenommen, auf dem bluesige Stücke wie Mississippi Phone Booth enthalten sind.
Und wer angesichts der steigenden Lebkuchen-Dichte in den Supermärkten eine wohltuende Alternative zur bald allgegenwärtigen vorweihnachtlichen Musikqual sucht, sollte sich Jerry Douglas‘ Album „Jerry Christmas“ mit entspannten Titeln wie The First Noel gönnen.
Zwischen den Stühlen
Gute Musik und ein feines Essen – allein oder in Gesellschaft vernünftiger Menschen – sind Balsam für die Seele. Schließlich geht es rund auf der Welt. Auch deshalb blicke ich derzeit nur zögerlich in die sozialen Medien oder die Polit-Talks im TV. Denn ständig stoße ich dort auf empörte Menschen und ihre vermeintlich einfachen Lösungen. Erstaunlich, mit welcher Überzeugung die Positionen vorgetragen werden, so seltsam sie auch sein mögen.
Dieses „Schwarz-Weiß“ ist schwer auszuhalten. Dabei spielt sich der Großteil des Lebens im Graubereich dazwischen ab. Daher sitze ich derzeit bei vielen Themen zwischen den Stühlen. Dieser Platz ist nicht bequem. Doch die ständige Differenzierung erscheint mir notwendig. Bei den großen Fragen unserer Zeit braucht die Meinungsbildung vermutlich ein paar Extrarunden und Korrekturen.
Übrigens wäre ich froh, wenn manche empörten Menschen einfach einmal stillhalten könnten. Um sich stattdessen zu hinterfragen und einzugestehen, nicht immer alles zu wissen. Oder wie der Musiker „Danger Dan“ bei einem Konzert im vergangenen Sommer sinngemäß sagte: Es wäre schon gut, wenn die Menschen die Komplexität unserer Welt einfach als Komplexität unserer Welt anerkennen würden.
Zutaten:
Blaukraut: 1 Kopf Blaukraut (ca. 1,5 kg), 2 Äpfel, je 300 ml Rotwein und Apfelsaft, 2 EL Preiselbeer-Marmelade, Schuss Apfelessig, 1 EL Butterschmalz, 2 Zwiebeln, 2 EL Rohrzucker, Gewürze (je 3 Wacholderbeeren und Piment, 1 Lorbeerblatt, 1 Nelke, je ½ TL Kümmel und Zimt, Salz und Pfeffer), 1 TL Butter, 1 EL Honig
Schupfnudeln: 500 g mehligkochende Kartoffeln, je 70 g glattes Mehl und Kartoffelstärke, 2 Dotter, Salz, Muskatnuss, Öl zum Anbraten
Musiktipp:
Album „Leftover Feelings“ aus dem Jahr 2021 von John Hiatt und der Jerry Douglas Band, Label New West; Album „Jerry Christmas“ aus dem Jahr 2009 von Jerry Douglas, Label Entertainment One.
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