Fröhliches Schaumschlagen.

Die Kardinalschnitte, diese großartige Mehlspeise, wurde vor fast genau 90 Jahren in Wien erfunden. Anlass war der Katholikentag, und die Konditoren der Hofzuckerbäckerei Heiner orientierten sich bei der gelb-weißen Ei-Masse an den Farben des Vatikans. Normalerweise gehört eine Kaffee-Crème zwischen den Biskuit-Teig. Doch was ist momentan schon normal?

Saisonbedingt nehme ich mir die Freiheit, die Schnitten mit einer Erdbeer-Crème zu füllen. Kulinarische Traditionalisten bezeichnen es womöglich als Kardinalfehler, die Schnitten mit Erdbeer- statt mit Kaffee-Crème zu füllen. Doch damit könnte ich leben.

Ein Stück wäre zu wenig – zu luftig und gut schmeckt diese Schaumschlägerei

Endlich wieder Erdbeer-Saison
Schließlich gibt es endlich wieder geschmackvolle Früchte aus der Region, die genau jetzt verwertet werden wollen. Zuvor habe ich mich wochenlang an Bergen von Billig-Erdbeeren vorbei geschlichen, die im trockenen Südspanien kostbares Wasser verbrauchen, von unterbezahlten Arbeitskräften geerntet, tausende Kilometer zu uns gefahren und zu Spottpreisen verkauft werden.

Ich habe mich über Konsumenten gewundert, die ihren Einkaufskorb mit diesen Billig-Importen füllen, aber gleichzeitig auf die Politik schimpfen, wenn die Zeiten ungemütlicher werden. Dabei beginnt die Weltpolitik bei den vielen kleinen Entscheidungen des Alltags. Es lebe die Eigenverantwortung.

Wir alle gegen die Dummheit
Dazu fällt mir ein, was Campino kürzlich sagte, als er an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf eine Gastvorlesung hielt: „Wir stehen vor einer großen Aufgabe. Wir alle gegen die Dummheit. Da wird jede Stimme gebraucht.“ Diese Aufgabe ist wirklich groß, wenn man sich das politische Klima vor Augen führt.

Mehr als ein Drittel der Bürger haben sich offenbar von etablierten Medien abgewendet. Bei allem Verständnis für Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk und an Qualitätszeitungen: Wenn sich so viele Menschen in eine Blase zurückziehen, um sich von sogenannten alternativen Medien mit einschlägigen Informationen ständig in ihrem schwarz-weißen Weltbild bestätigen zu lassen, dann verwundert es nicht, dass es längst völlig unterschiedliche Wahrnehmungen unserer Welt gibt. Nur so ist zu erklären, dass die politischen Extremisten dieser Zeit ungebrochen Zulauf erhalten. Trotz aller Verfehlungen, trotz aller Aggressivität.

Den Populisten geht es nicht um dringend notwendige, konstruktive Verbesserungen, sondern ums Spalten und Angstmachen. Da ist eine riesige, destruktive Energie bei relativ vielen Menschen spürbar. Doch wie kann man nur ständig gegen „die da oben“ wettern und sich gleichzeitig nach starken Führern sehnen? Wie kommen wir da unbeschadet heraus? Ich weiß es nicht. Campino hat wohl recht: Es wird jede vernünftige Stimme brauchen.

Sorgen wegbacken
Dafür weiß ich inzwischen, wie man Kardinalschnitten bäckt. Damit die Sorge über gesellschaftliche Entwicklungen nicht Überhand gewinnt, brauche ich unbedingt eine leichte, süße Mehlspeise. Zuerst bereite ich zwei Bleche mit Backpapier vor. Für den weißen Teig schlage ich das Eiweiß steif und lasse die Prise Salz und den Staubzucker schrittweise einrieseln. Dann packe ich die Masse in einen Spritzbeutel und spritze auf jedes Blech drei Streifen.

Kurz, bevor die aufgespritzten Streifen ins Backrohr dürfen.

Zwischen den Streifen lasse ich etwas Platz, denn in diese Zwischenräume kommt gleich der gelbe Teig: Dazu schlage ich in einer zweiten Schüssel Eier, Eigelb und Zucker schaumig, rühre die Zitronenschale ein, siebe das Mehl darüber und ziehe es vorsichtig unter. Die gelbe Masse kommt in einen weiteren Spritzbeutel, um sogleich in den Zwischenräumen zu landen. Dann bestreue ich die gelb-weiße Masse noch mit etwas Staubzucker, ehe ich sie bei 150° Umluft für knapp eine halbe Stunde backe und danach auskühlen lasse.

Lieblingscrème
Für die Crème wasche und entstiele ich die Erdbeeren, danach püriere ich sie mit Staub- und Vanillezucker mit dem Stabmixer. Die Gelatine weiche ich in kaltem Wasser ein. Dann wird der Rahm steif geschlagen, die ausgedrückte Gelatine in erwärmtem Orangenlikör aufgelöst, mit dem Erdbeerpüree vorsichtig unter den Rahm gezogen und eine Stunde kaltgestellt. Einen der Teigböden bestreiche ich mit der Erdbeercrème, den zweiten Teigboden setze ich darauf. Dann stelle ich die Schnitten kühl und nach ein, zwei Stunden bestreue ich sie mit Staubzucker, um sie festlich zu servieren.

Am Stück stehen die Schnitten unspektakuär aus – erst nach dem Portionieren entfalten sie ihren ganzen Erdbeer-Zauber.

Mai-Musik
Dazu höre ich diesen Mai das neue Album „Polaroid Lovers“ von Sarah Jarosz. Die Singer-Songwriterin aus Texas zählt seit Jahren zu meinen Lieblingsmusikerinnen. Aus interessantem Folk wurde inzwischen radiotauglicher Pop. Nach anfänglicher Enttäuschung über diese Entwicklung habe ich das Album jedoch liebgewonnen. Die neuen Lieder von Sarah Jarosz – etwa „Jealous Moon“ – passen gut ins Frühjahr. Besonders zu Erdbeer-Kardinalschnitten. Und erst recht in eine angespannte Zeit.

Zutaten (Eier Größe L):
Weißer Teig: 6 Eiweiß, 180 Gramm Staubzucker, eine Prise Salz
Gelber Teig: 2 Eier, 3 Eigelb, 50 Gramm Staubzucker, geriebene Schale einer kleinen Bio-Zitrone, 70 Gramm Mehl
Crème: 300 Gramm Erdbeeren, 80 Gramm Staubzucker, 1 Teelöffel Vanillezucker, 3 Blatt Gelatine, 250 Milliliter Rahm, 2 Esslöffel Orangenlikör

Musiktipp:
Album „Polaroid Lovers“ von Sarah Jarosz aus dem Jahr 2024

Post Author: Dan

One Reply to “Kardinalschnitte mit Erdbeer-Crème”

  1. Lieber Daniel
    Immer wieder erfreuen mich deine Zeilen ganz besonders. Wünsch dir einen wonnigen Mai.
    Liebe Grüße aus der Nachbarschaft Inge
    Den Witz mit dem Kardinalfehler kennst Du sicher.
    Wenn nicht erzähl ich ihn dir bei einer Kardinalschnitte von der Schwanenbäckerei, die mag ich sehr gern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

You may also like

Hereinspaziert und ausprobiert

Willkommen in Dan’s Probelokal!
Auf dem Menüplan dieses Online-Lokals stehen stets frische Rezeptgeschichten. Als Beilage gibt es musikalische Entdeckungen und kritische Blicke auf unsere Gesellschaft.

Newsletter-Anmeldung
Wer sich für den Newsletter anmeldet, bekommt die Rezeptgeschichten vorab, frisch und heiß serviert. Senden Sie einfach eine E-Mail mit Betreff „Newsletter“ an dan@probelokal.com. Ihre Adresse wird natürlich nicht weitergegeben. Bis bald!

Folgen Sie Dan’s Probelokal

In Arbeit

Chili-Öl

Dieses Chili-Öl ist großartig für die eigene Vorratskammer. Aber es eignet sich auch wunderbar als Weihnachtsgeschenk. Und da mich schon seit August Lebkuchen und Schneeschaufeln in den Supermärkten empfangen, kann es ja nicht mehr lange hin sein, bis zum Dezember… Falls Sie auch schon mit der Geschenkeproduktion starten wollen: Das Rezept, das ich vor Jahren einmal im ZEIT-Magazin gefunden habe, versteckt sich in der September-Rezeptgeschichte. 

Zweite Wahl

Im Probelokal werden viele Rezepte ausprobiert. Doch nicht aus jedem wird eine eigene Geschichte, weil schlicht die Zeit dazu fehlt. Deshalb sehen Sie hier wechselnde Gerichte zweiter Wahl.

Falls ich Ihnen ein Rezept dieser Spalte senden soll, dann schreiben Sie mir: dan@probelokal.com. Und wenn Sie wollen, dann spenden Sie als Gegenleistung dem Verein „Herzkinder Österreich“ ein paar Euro. Vielen Dank!

Kleine Obst-Tartes

Die reiche Ernte will verarbeitet werden – schön und gut gelingt dieses Vorhaben mit diesen kleinen Tartes mit Grießfülle und frischem Obst.

Oder:

Falafel

Falafel gibt’s derzeit überall – natürlich auch im Probelokal. Am liebsten in Sesam gewälzt und mit frischer Tomaten-Salsa.

Oder:

Brombeer-Eis

Das Lieblings-Eis des zu Ende gehenden Sommers! In einer hausgemachten Brandteig-Schale mit frischem Obst serviert.

Rezept-Geschichten