Suppe und Sound von Welt.

Die Wärme des Sommers mitnehmen

Den Sommer lasse ich heuer nur ungern ziehen: Es gab zauberhafte Abende zwischen See und Berg oder mitreißende Ereignisse wie die Fußball-EM oder die Olympischen Spiele. Dazu musikalische Entdeckungen und kulinarische Freuden. So ist es ein Gebot der Stunde, die Wärme der letzten Wochen mit in den Herbst zu nehmen. Dabei unterstützen Suppe und Sound von Welt.

Mit der asiatischen Küche bin ich bislang nicht sehr vertraut – zu tief hängt wohl noch ein Chinarestaurant-Trauma aus meiner Kindheit. Da weder Wiener Schnitzel noch Pommes Frites auf der speckigen, abgegriffenen Karte standen, bestellte ich mir seinerzeit beim Chinesen um die Ecke gebackenen Reis mit Schweinefleisch.

Es schmeckte grauenhaft. Und nicht einmal das Auge konnte freudig mitessen, da der Haufen vor mir aussah, wie ein Schneckenkompott. Rückblickend bin ich mir freilich nicht sicher, ob mein naiver kindlicher Geschmack einfach noch nicht reif für die asiatische Küche war; oder ob es doch daran lag, dass der Koch dem unerfahrenen Gaumen ungenießbaren Glutamat-Schlotz auf den Teller klatschte. Ich fürchte, da ist beides zusammengekommen.

Tom Kha Gai statt Shein und Tik-Tok
Inzwischen ist mir natürlich klar, dass es großartige fernöstliche Gerichte gibt. In meiner Küche spielen sie bisher aber eine untergeordnete Rolle. Das musste sich diesen Sommer ändern. Es ist mir auch deutlich lieber, Asien auf kulinarischem Wege in meine Wohnung zu bitten, als durch Billig-Exporteure wie Shein und Temu, die Frachtflugzeuge und westliche Wohnzimmer mit Wegwerf-Ware fluten, oder durch Social-Media-Plattformen wie das chinesische Tik-Tok, das auf raffinierte Weise zur Zersetzung unserer westlichen Demokratien beitragen will. Wir sollten auf der Hut sein.

Großen familiären Zuspruch in den heimischen Asia-Wochen erntete diese Hühner-Kokos-Suppe. In Thailand ist sie unter dem Namen „Tom Kha Gai“ bekannt. Zwar brauchte es einige Versuche, bis ich sie auf meinen Geschmack abgestimmt habe; aber dank dieser suppenkulturellen Aneignung zählt die Suppe nun fix zu meinem Repertoire.

Einige der Zutaten finde ich erst seit wenigen Jahren verlässlich in unseren Supermärkten. Eine ordentliche Currypaste, Ingwer oder sogar Zitronengras oder Kaffirlimetten-Blätter gibt es inzwischen an jeder Ecke. Manche der Zutaten wachsen sogar ganz in der Nähe, zuletzt erhielt ich Zitronengras von der Bodensee-Insel Reichenau und Bio-Ingwer vom Neusiedler See.

In wenigen Schritten zur Suppe
Zuerst schneide ich das Hühnerbrüstchen in feine Streifen und brate es etappenweise in Öl scharf an. Es wird gesalzen, gepfeffert und in einer Schüssel zur Seite gestellt. Im selben Topf schwitze ich die fein geschnittene Zwiebel, Knoblauch und Ingwer bei mittlerer Hitze an, und damit nichts anklebt, gieße ich noch einen Schuss Öl dazu. Das Zitronengras drücke ich an, bevor ich es in große Stücke schneide und mit Kaffirlimetten-Blättern dazugebe.

Das vorgebratene Hühnerfleisch hat Pause – nun sind Gemüse und Gewürze im Einsatz.

Ebenso rühre ich den Rohrzucker und die Currypaste ein, mit Limettensaft und Sojasauce wird abgelöscht. Nun kommen noch die heiße Hühnersuppe und die Kokosmilch dazu. Für eine Viertelstunde darf die Mischung nun leise köcheln. In dieser Zeit gare ich die Nudeln, die nach Ende der Kochzeit abgeseiht werden. Im Zweifelsfall lieber ein, zwei Minuten früher, als auf der Packung angegeben, da die Nudeln in der Suppe beim Servieren noch etwas nachgaren.

Dann entferne ich das Zitronengras und die Limetten-Blätter, reduziere die Temperatur und gebe das vorgebratene Hühnerfleisch dazu. Jetzt darf die Suppe keinesfalls mehr kochen, denn sonst wird das Fleisch zäh. Mit etwas Sojasauce, Limettensaft und Salz wird noch abgeschmeckt, ohne Pfeffer geht es bei mir auch nie. Mit den Nudeln und ein paar gehackten Korianderblättern richte ich nun an.

Tom Kha Gai zählt nun fix zu meinem Repertoire.

Chili-Öl zur Krönung
Zur krönenden Abrundung träufle ich noch einen Löffel würzig-scharfes Chili-Öl darüber. Das habe ich mir diesen Sommer als Vorrat für den Herbst und Winter angelegt. Das Rezept stand vor Jahren einmal im ZEIT-Magazin und klang sehr plausibel. Die Zubereitung erfordert etwas Geduld und Zuwendung: Erhitzen Sie das Öl mit den Gewürzen (außer den Chiliflocken, dem Salz und dem Sesam, die haben noch Pause) bei mittlerer Hitze in einem großen Topf. Messen Sie mit einem Küchenthermometer die Temperatur des Öls, denn die sollte ganz langsam nicht höher als auf gut 110 Grad steigen und möglichst konstant bei diesem Wert bleiben. Im Idealfall steigen kleine Bläschen aus den Gewürzen auf. Die Gewürze ziehen nun für rund eine Stunde im Öl.

Die Gewürze dümpeln im maßvoll erhitzten Öl vor sich hin.

Währenddessen geben Sie die Chiliflocken, das Salz und den Sesam in eine hitzebeständige Schüssel. Dort hinein sieben Sie nun das heiße Öl. Nach dem Abkühlen füllen Sie das Öl in sterilisierte Glasflaschen. Derzeit stehen einige davon in meinen Kühlschrank, denn ich habe unlängst gleich die fünffache Menge davon zubereitet.

Der Gewürzhändler hat sich gewundert über meinen Großeinkauf. Aber offensichtlich naht schon der Dezember, sonst gäbe es ja noch keine Lebkuchen und Schneeschaufeln in den Supermärkten. Und wenn die stillste Zeit naht, brauche ich wieder kleine Mitbringsel oder Geschenke.

Das Chili-Öl eignet sich auch wunderbar als Mitbringsel oder Geschenk.

Spätsommer-Sound
So, die Suppe ist fertig, die Sonne geht bald unter, und Sie erahnen, was zum ganzen Spätsommer-Glück noch fehlt: Ja, genau – die richtige Musik. Und nein, der meistgehörte Sommerhit des Jahres im deutschsprachigen Raum gehört für mich persönlich nicht dazu. Auch wenn Bauch, Beine, Po von Shirin David voller Begeisterung vorgetragen wird. Die Anzahl an Schönheitsoperationen der Interpretin wird von einer rekordverdächtigen Menge an Aufrufen ihres Hits auf Youtube inzwischen schon deutlich übertroffen.

Vielmehr hat es mir diesen Sommer der Sound von „Hermanos Gutiérrez“ angetan. So nennen sich die Brüder Alejandro und Estevan Gutiérrez. Ihre Mutter ist Schweizerin, der Vater stammt aus Ecuador. In den Ferien saß ich eines Sommerabends gemütlich auf der Terrasse und hörte Titel wie Sondido Cosmico oder Tres Hermanos. Letzteres wurde mit Unterstützung des Ausnahme-Musikers Dan Auerbach (The Black Keys) aufgenommen. Es klingt so gut, dass ich es mir derzeit täglich anhören muss.

Es gibt einfach Momente, an denen alles zusammen passt. Wie fein es doch ist, in der Spätsommer-Sonne draußen zu sitzen, einen Teller Hühner-Kokos-Suppe zu schlürfen und sich von „Hermanos Gutiérrez“ berieseln zu lassen. Der Sound klang wie der Soundtrack eines besonderen Films – und dieser Soundtrack eignet sich bestens, um auch im Spätsommer so manchen Sonnenuntergang zu vertonen.

Da fühlt man sich wie ein Weltbürger und könnte glatt vergessen, dass der Wind bald wieder rauer wehen wird, wenn die intensive Zeit der Wahlkämpfe über uns hereinbricht und alles wieder komplizierter wird. Kompliziert, wie die Auslosung der erneuerten Champions League. Oder das Verhältnis zwischen Liam und Noel Gallagher. Kompliziert, wie die politische Gemenge-Lage und die Tatsache, dass sich Rechtsextremisten und Islamisten in ihrer Ablehnung des liberalen Rechtsstaats viel ähnlicher sind, als diesen Wirrköpfen bewusst ist.

Aber dass das Leben immer einfach ist, hat meines Wissens nie jemand versprochen. Mir jedenfalls nicht. Schön ist es trotzdem.

Zutaten:
Tom Kha Gai: 800 Milliliter Hühnersuppe, 400 Milliliter Kokosmilch, 1 Hühnerbrüstchen, 1 Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, 20 Gramm Ingwer, 1 Stängel Zitronengras, 3 Kaffirlimetten-Blätter, 1 Esslöffel Currypaste, 1 Esslöffel Rohrzucker, 2 Esslöffel Sojasauce, 1 Limette, ein paar Korianderblätter, 250 Gramm Mie-Nudeln, neutrales Öl, Salz, Pfeffer, evtl. etwas Chili-Öl (siehe unten); wer sich vegetarisch oder vegan ernährt, gießt mit Gemüsesuppe auf und lässt das Fleisch weg.

Chili-Öl: 700 Milliliter neutrales Öl (ich habe zuletzt Rapsöl verwendet), 5 Sternanis, 2 Zimtstangen, 2 Lorbeerblätter, 1 EL Sichuan-Pfefferkörner, 2 Kardamomschoten, 1 kleines Stück Ingwer, 2 Teelöffel Nelken, 3 Knoblauchzehen, 1 Zwiebel, 120 Gramm Chiliflocken, 50 Gramm Sesam, 2 Teelöffel Salz

Musiktipp:
Sonido Cósmico von Hermanos Gutiérrez aus dem Jahr 2024

Post Author: Dan

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