Winterliches Wuzeln.

Man kann sich nie genug Mohnnudeln machen

Es ist ein Hund mit den Algorithmen in den sozialen Medien. Habe ich mich an einem satten Moment zum Jahreswechsel vielleicht über Workouts oder bessere Selbstorganisation informiert? Es scheint so, denn seit Wochen erreichen mich unentwegt Empfehlungen von strahlenden Influencern, die mich in Online-Seminaren zu einem besseren Ich führen wollen.

Doch da muss ich passen. Nicht nur, weil mir ein besseres „Wir“ derzeit notwendiger erscheint, als ein besseres „Ich“. Es gibt doch schon viel zu viele „Ichs“ in unserer Gesellschaft, mancherorts ergreifen sie sogar mit ausgefahrenen Ellenbogen die Macht. Außerdem geschieht zu viel Turbulentes auf der Welt. Da ziehe ich mich zwischendurch einfach in die Küche zurück und probiere etwas aus.

Und so wuzle ich einen Berg Mohnnudeln, anstatt mit eiserner Disziplin an meiner Selbstoptimierung zu arbeiten. Zwar verzichte ich dadurch auf einen Sixpack und wegen des vielen Mohns auch auf strahlend weiße Zähne. Aber dafür bin ich zufrieden.

Dazu passt eine Weisheit, die mir ein kluger Jesuit kürzlich weitergegeben hat: Sorgen sind sinnlos. Und sie sind wie Nudeln – man macht sich immer zu viele davon. Das sollte in kulinarischer Hinsicht aber das geringste Problem sein, denn über eine dampfende Mohnnudel-Überraschung freuen sich Familie, Gäste oder Nachbarn.

Mehlspeisen lieber selber machen
Mohnnudeln gehören für mich neben Germknödeln und Kaiserschmarren zum Triumvirat der österreichischen Winter-Küche. Seit ich vor einer Berghütte einmal leere Kartons voller industriellem Fertig-Kaiserschmarren entdeckt habe, ist die Illusion verflogen, dass mir je eine rüstige Hüttenwirtin am offenen Feuer einen hausgemachten Schmarren rühren wird.

Und mir ist längst klar, dass auch die Germknödel, die in ihren gläsernen Brutkästen der SB-Restaurants an der Skipiste vor sich hin dampfen, wie Legehennen in ihren Batterien, aus der Fabrik stammen. Deshalb sollte man die Sache mit den winterlichen Mehlspeisen selbst in die Hand nehmen.

Die Investition in eine Kartoffel-Presse lohnt sich.

Schupfnudel-Meditation
Schon am Vortag koche ich die Kartoffeln weich, um sie über Nacht auskühlen zu lassen. Am Folgetag schäle ich die Knollen und drücke sie durch die Kartoffelpresse. Dann schneide ich eine Vanilleschote auf und gebe das ausgekratzte Mark zur Kartoffelmasse. Die übrige Schote landet übrigens immer in der Zuckerdose, denn sie verwandelt ordinären Zucker in fein duftenden Vanillezucker.

Dann rühre ich Mehl, Stärke, Dotter, Salz und die abgeriebene Schale einer halben Zitrone ein und verknete die Zutaten rasch zu einem Teig. Manchmal lasse ich ihn dann eine Stunde auf der kalten Fensterbank ruhen. Aber wenn es schnell gehen muss, verarbeite ich ihn sofort. Ich zwicke vom Teig kleine Stücke ab und wuzle sie zwischen den Handflächen mit etwas Mehl zu gleichmäßigen Schupfnudeln. Die Arbeit braucht etwas Zeit und hat etwas Meditatives.

Das meditative Wuzeln dauert, macht aber Sinn.

Dann koche ich das Wasser auf und aromatisiere es mit einer kräftigen Prise Salz und einem Esslöffel Zucker. Die Nudeln landen nun portionsweise ins leicht siedendem Wasser. Nach rund zwei Minuten kann ich sie herausheben und im Sieb mit kaltem Wasser abschrecken.

In einer beschichteten Pfanne zerlasse ich die Butter, schwenke darin die Nudeln und mische sie mit viel Mohn und Staubzucker. Ich reibe mir zur Kür gerne noch etwas Orangenschale darüber. Besonders gerne tunke ich die Mohnnudeln beim Essen in frisch gekochtes Apfelmus.

Stilgerecht könnte man die Mohnnudeln auch auf Schnee servieren.

Gute Musik von guten Menschen
Und während ich nach dem Essen versuche, den Mohn aus den Zähnen zu bekommen, höre ich neue Musik aus dem Nordosten der USA, der als Brutstätte mitreißender Indie-Musik gilt: Grunge-Größen wie Pearl Jam oder Nirvana stammen von dort, aber auch The Gossip, Portugal. The Man oder The Shins. Zu meinen Lieblingsbands aus dieser Gegend gehören The Decemberists. Endlich hat das Indie-Folk-Quintett aus Portland wieder ein Album veröffentlichen. Es heißt „As It Ever Was, So It Will Be Again“ und beinhaltet Titel wie Burial Ground, Long White Veil oder Oh No.

Diese Musiker repräsentieren für mich das gute Amerika. Genauso wie die Bischöfin Mariann Edgar Budde, die Donald Trump und seinem griesgrämigen Gefolge beim Festgottesdienst nach seiner Angelobung die Leviten las. Nach seiner Kritik merkte sie sinngemäß an, dass die Amerikaner nur nicht glauben sollten, jetzt eine „Lizenz zum Bösesein“ zu haben. An fragwürdigen Vorbildern zum Bösesein mangelt es ja nicht.

Zwar gibt es auch im Probelokal Verständnis für die Sorge vieler Menschen vor unkontrollierter Zuwanderung. Auch für Ärger über Auswüchse der Wokeness und nervende Moralapostel. Und die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen. Doch man muss ja nicht gleich die Extremisten an die Macht wählen, die dann voller Rachsucht ihre politischen Gegner verhöhnen, freie und kritische Medien einschränken und vergessen, dass in einer liberalen Demokratie nicht einfach die Mehrheit über die Minderheit herrscht, sondern dass Pluralismus und Rechte von Minderheiten dazu gehören.

Wasserrutschen-Bullies
Mich erinnern Trump und seine milliardenschweren Follower wie Musk, Zuckerberg oder Bezos übrigens an die Vordrängler auf den Wasserrutschen, die mir seit der Kindheit auf die Nerven gehen. Wenn sie nicht schon beim Hinauflaufen auf der Treppe nach vorne hasten, schlängeln sie sich garantiert beim Rutschen vorbei. Oder sie landen beim Eintauchen auf dem Rücken ihrer Vorderleute.

Es gab die Wasserrutschen-Bullies in meiner Kindheit, und es gibt sie noch heute. Es sind dieselben, die im Supermarkt von ganz hinten nach vorne sprinten, wenn eine weitere Kassa öffnet. Egal, ob andere schon länger warten. Es sind die Rüpel, die auf den Autobahnen drängeln oder schwungvoll in den letzten freien Parkplatz einbiegen, in den man gerade steuern wollte. Bischöfin Mariann hat zum Glück daran erinnert: Es sollte – im Großen wie im Kleinen – keine Lizenz zum Bösesein geben. Egal, ob im Schwimmbad oder im Weißen Haus.

Als Mohn-Fan liebe ich natürlich auch Germknödel mit viel Mohnzucker. Und Vanillesauce. Das Rezept folgt ein andermal.

Zutaten:
700 g mehlig kochende Kartoffeln, 100 g glattes Mehl und noch etwas Mehl zum Arbeiten, 100 g Kartoffelstärke, 3 Dotter, 1 Vanilleschote, 1 Zitrone, Salz, Kristallzucker, 30 g Butter, 100 g gemahlener Mohn, 50 g Staubzucker, evtl. 1 Orange

Musiktipp:
„As It Ever Was, So It Will Be Again“ von The Decemberists aus dem Jahr 2024

Post Author: Dan

One Reply to “Mohnnudeln”

  1. Daniel, diesmal hast du voll meinen Geschm,ack getroffen. Mohnnudeln geben zwar etwas Arbit, aber die lohnt sich mal 2!
    Kompliment.
    Mit deinen Gedanken vom ICH zum „WIR“ hast du voll die aktuelle Situation angeschnitten!

    Liebe slow food- Grüße aus Rankweil

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