Sie ist meine Liebste. Sie ist scharf. Ich könnte jede Woche einen Abend mit ihr verbringen: Mit meiner Krensuppe. Heute stelle ich Ihnen diese Spezialität des Probelokals vor – meine „Signature Soup“ sozusagen. Sie ist dank ihrer Zutaten sprichwörtlich „fest verwurzelt“ und doch bereit zum kulinarischen Höhenflug. Einmal servierte ich sie dem Gastro-Kritiker Wolfram Siebeck, und zwar beim Finale des ZEIT-Magazin-Kochwettbewerbs. Mit überraschenden Folgen.
Zuerst muss ich allen Gästen des Probelokals, die nicht aus Österreich und Bayern kommen, erklären, was Kren ist. Ganz einfach: Meerrettich. Oder für die Botaniker unter Ihnen: Armoracia Rusticana. Klingt nach rustikaler Waffe. Und tatsächlich: Die Wurzel der scharfen Krenpflanze gilt als medizinisches Wundermittel. Unter anderem enthält sie viel Vitamin C und bakterienhemmende Stoffe. Damit schützt sie vor Erkältungskrankheiten. Und da derzeit wieder Schwaden voller Viren und Bakterien durch die Lüfte ziehen, wird es höchste Zeit für die wohlschmeckendste Medizin, die ich kenne.
Ausflug an die Weinstraße
Die Wurzel meiner Kren-Liebe liegt in einem der schönsten Flecken Österreichs: Der Südsteiermark. Dort, in den Hügeln des Grenzgebietes zwischen Österreich und Slowenien, wo mein Vater geboren wurde, und wo er die Silberberger Obst- und Weinbauschule besuchte. Dort, wo an der Weinstraße die weißen Trauben für den Muskat-Sylvaner gedeihen, den Sie vielleicht besser unter dem Namen Sauvignon Blanc kennen. Und natürlich dort, wo kürzlich der russische Präsident Wladimir Putin Hochzeit feierte – und zwar die der österreichischen Außenministerin. Dass die öffentlichen Sicherheitskosten dabei dem Gegenwert von über 50.000 Kilogramm Krenwurzeln entsprachen, soll eine Randnotiz bleiben.
Inzwischen kultiviert mein Vater den Kren in der Nähe seines Komposthaufens. Mehr bio geht nicht. Seit wenigen Tagen sind die Blätter der Krenpflanze braun – das ist das Startsignal für die Ernte. Und die ist beschwerlich, da die Krenwurzeln mühevoll der Erde entrissen werden müssen. Vorgestern lag die erste frisch geerntete Portion vor der Tür des Probelokals. Somit wurde es höchste Zeit für die erste Krensuppe der Saison.
Einfacher und besser geht es kaum: In einer mittelheißen Pfanne schwitzen Sie die fein gehackten Schalotten und eine Knoblauchzehe in etwas Butter farblos an. Dazu kommen die grob gewürfelten Kartoffeln und eine erste Prise Salz. Mit einem kräftigen Schuss Muskat-Sylvaner (auch ein anderer Weißwein ist erlaubt) löschen Sie das Gemüse ab. Das zischt wunderbar.
Ist der Wein verdampft, gießen Sie einen Liter klare Suppe dazu. Vorzüglich eignet sich die Hühnersuppe, die ich Ihnen im September als „geflügelte Basis für einen goldenen Herbst“ ans Herz gelegt habe. Mein tiefgefrorener Vorrat kommt hier zum Einsatz. Doch auch Gemüse- oder Rindssuppe passen gut. Aber tricksen Sie nicht: Die Qualität dieses Aufgusses prägt den Geschmack der Krensuppe! In dieser Flüssigkeit köcheln Sie die Kartoffeln nun für 20 Minuten bei mittlerer Hitze weich.
Das gibt Reibereien
Währenddessen bereiten Sie den Kren vor. Das geht nicht reibungslos: Schälen Sie eine Krenwurzel und zerkleinern Sie mit einer Gemüse- oder Zitronenreibe rund drei Esslöffel davon. Das sieht aus wie Parmesan, ist aber alles andere als Käse. Beim Krenreiben ist Vorsicht geboten: Die Senföle rühren manchmal zu Tränen. Und beim Einatmen zieht die Schärfe durch die Nase so eindrucksvoll in den Kopf, dass man eine Vorstellung davon bekommt, was es heißen könnte, in eine Wolke Pfefferspray zu gelangen.
In die köchelnde Suppe kommen nun der Rahm, eine paar Prisen Muskatnuss, weißer Pfeffer sowie Salz. Und zur Krönung der geriebene Kren. Dann muss es schnell gehen, da der Kren mit der Zeit seine frische Schärfe verliert: Mit einem Stabmixer pürieren Sie die Suppe. Und mit etwas Butter und einem Spritzer Zitronensaft schmecken Sie ab.
Wenn es rustikal zugehen darf, servieren Sie die Suppe sofort – am besten mit ein paar knusprig gebratenen Brot- und Speckwürfeln, vielleicht sogar in zünftiger Steirertracht. Und falls Sie die Suppe veredeln wollen, wenn es etwa gilt, Ihre/n Liebste/n zu beeindrucken, oder falls Sie eine kritische Schwiegermutter haben sollten, die zum Essen kommt, dann passieren Sie die Suppe durch ein feines Sieb.
Die Suppe rettete den Sieg
So machte ich das auch vor fünf Jahren beim Finale des ZEIT-Magazin-Kochwettbewerbs, das in der Zirbelstube des Stuttgarter Hotels am Schlossgarten ausgetragen wurde. Das Motto lautete: „Einfach gut – mein Lieblingsrezept“. Unterstützt von Schwägerin Sonja Baldauf durfte ich mit einem dreigängigen Menü gegen einen Schweizer Hobbykoch antreten.
Der inzwischen leider verstorbene Gastro-Kritiker und ZEIT-Kolumnist Wolfram Siebeck zeigte sich angetan von der würzigen Krensuppe. Zum Glück, denn ein Fauxpas beim Nachtisch kostete uns fast noch den Sieg. Das eigentlich nur zur Dekoration gedachte Kürbiskern-Karamell entpuppte sich in der servierten Überdosis als Gefahr für die Zähne der prominenten Gäste; aber das ist eine andere Geschichte, auf die ich im Probelokal noch zurückkommen werde.
Der steirische Musiktipp
Beim Zubereiten der steirischen Spezialitäten aus Küche und Keller ist mir – Sie ahnen es – die Band „STS“ eingefallen. Die akustische Gitarrenmusik von Gert Steinbäcker, Günter Timischl und Schiffkowitz prägte sich schon in meiner Kindheit ein. Doch die STS-Alben haben zuletzt eine Staubschicht angesetzt. Höchste Zeit, sie wieder aus dem Plattenschrank hervor zu kramen. Ist das eine Freude! Ich kann gleich mit einstimmen und merke, wie viele Songs ich mitsingen kann. Und sie gehen immer noch mitten ins Herz.
Jeder der drei Musiker, die mich bei Konzerten immer an alternative Professoren aus dem Gymnasium erinnerten, glänzt auf seine Art: Günter Timischl etwa, der mit seiner klaren Stimme „Wunder meiner Seligkeit“ singt, oder Schiffkowitz, der mit „Do kummt die Sunn“ erfolgreich die Beatles covert (kann nicht jeder!). Und schließlich Gert Steinbäcker, der bei „Kalt und kälter“die Politik ins Visier nimmt. Wenn er darin so über den „Chef vom Kreml“ und den „Cowboy aus Amerika“ singt, würde man nicht meinen, dass der Titel schon über 30 Jahre alt ist.
Nur „Fürstenfeld“ kann ich nicht (mehr) hören, das wurde mir auf Parties in der Jugend zu oft mitgegrölt. Eine Weile lang befürchtete ich sogar, dass STS auf die dumpfen Schlagerbühnen abdriften könnten. Doch sie haben mich nicht enttäuscht. Mit ihrem unprätentiösen Musikstil und den unmissverständlichen politischen Statements haben STS immer ihre Glaubwürdigkeit bewahrt. Heimatverbundener Sound, ganz ohne dumpfe Heimattümelei – das tut wohl. Gut möglich, dass ich die STS-Alben eine Weile lang nicht mehr verräume.
PS: Ich empfehle Ihnen auch die Solo-CD von Gert Steinbäcker, die Sie in steirische Stimmung versetzen wird, sobald Sie auch nur Sekunden der liebenswürdigen Titel „Steiermark“ und „Vom höchsten Gipfel“ angespielt haben. Optimal natürlich zu frischer, scharfer Krensuppe!
Zutaten für zwei hungrige Esser oder vier Probierer: 1 Liter Hühner- oder Gemüsefond (klare Suppe), 250 Gramm mehlige Kartoffeln, 100 Gramm Kren, 1 kleine Zwiebel oder zwei Schalotten, 1 Knoblauchzehe, 100 Milliliter Rahm, 1 Esslöffel Butter, kräftiger Schuss Weißwein, ein wenig Zitronensaft, Salz, weißer Pfeffer und MuskatnussGetränk: Feinen Muskat-Sylvaner, der vielerorts Sauvignon Blanc genannt wird. Den gibt es etwa im Weingut Tauss, das bei Leutschach biodynamische Weine anbaut, oder vom Bio-Weingut Knauss bei Gamlitz.Lektüre: Im Magazin Falstaff ist einmal eine anregende Reportage zur Südsteiermark erschienen: https://www.falstaff.at/tg/suedsteiermark-reben-unter-dem-klapotetz/Den Bericht zum ZEIT-Magazin-Kochwettbewerb finden Sie hier: https://www.zeit.de/2013/27/zeit-magazin-kochwettbewerb/komplettansicht Restaurant-Tipp: Falls Sie einmal in Stuttgart sind und am Ort meines kleinen kulinarischen Sternstündchens fein essen möchten: Dann besuchen Sie die Zirbelstube des Hotels am Schlossgarten: https://www.hotelschlossgarten.com/zirbelstubeMusik: Album „S.T.S. und Band live“ aus dem Jahr 2000, Label Amadeo; und „Vom höchsten Gipfel“ von Gert Steinbäcker aus dem Jahr 2002, Label Koch Music
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Chili-Öl
Dieses Chili-Öl ist großartig für die eigene Vorratskammer. Aber es eignet sich auch wunderbar als Weihnachtsgeschenk. Und da mich schon seit August Lebkuchen und Schneeschaufeln in den Supermärkten empfangen, kann es ja nicht mehr lange hin sein, bis zum Dezember… Falls Sie auch schon mit der Geschenkeproduktion starten wollen: Das Rezept, das ich vor Jahren einmal im ZEIT-Magazin gefunden habe, versteckt sich in der September-Rezeptgeschichte.
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Falafel gibt’s derzeit überall – natürlich auch im Probelokal. Am liebsten in Sesam gewälzt und mit frischer Tomaten-Salsa.
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