Ein Rezept gegen politisches Engegefühl:
Scharfe Kürbissuppe mit saurem Apfel.
Bevor in der österreichischen Regierung noch jemand auf die Idee kommt, die sonntägliche Schweinebraten-Pflicht einzuführen, verkochen wir langweilige Kürbisse und leicht säuerliche Äpfel zu feiner Herbst-Suppe. Und präsentieren einen Liebesbrief an die akustische Gitarre.
Es geht uns gut in Österreich. Wir leben in einem reichen Land mit geringer Arbeitslosigkeit und niedriger Kriminalitätsrate. Irgendwas muss richtig gelaufen sein in den letzten Jahrzehnten. Dennoch hat die politische Reform-Sehnsucht auch mich irgendwann gepackt – quasi unter dem Motto: „Nichts bleibt, wenn sich nichts ändert.“ Aber was bundespolitisch derzeit geschieht, hat mit Zukunftslust nicht viel zu tun. Eher mit angstgetriebener Rückkehr hinter den Gartenzaun.
Denn die Regierung versucht in manchen Bereichen, das Rad der Zeit zurückzudrehen. Statt einer differenzierten Beurteilung der Schulkinder wünscht sie sich wieder stramme Noten. Das Rauchverbot in der Gastronomie wurde wieder aufgehoben. Kritische Medien, die das tun, was Medien tun müssen, werden beschnitten. Und während des EU-Vorsitzes steigt Österreich aus dem UNO-Migrationspakt aus, an dessen Entstehung es zuvor aktiv mitgearbeitet hat. Wo ist das langfristige Denken, die globale Mitverantwortung, wo sind erstrebenswerte Zukunftsbilder?
Das Muster ist bekannt: Man hält die Flüchtlingsproblematik am Köcheln, befeuert sie bei Bedarf genüsslich, suhlt sich in der Empörung verängstigter Menschen und drückt währenddessen Beschlüsse durch, die sich im Grunde gegen die Interessen der Kernwählerschaft richten. Das mag rhetorisch wunderbar verpackt und elegant vermarktet sein; aber es ist eben opportunistisch und unredlich. Außerdem zeugen die Vorgänge von fragwürdigen Menschenbildern, die mit einer aufgeklärten, bürgerlichen Mitte nichts zu tun haben. Wenn das der „neue Stil“ ist, den man uns versprochen hat, na dann: Prost, Mahlzeit.
Ab in die Küche!
Apropos Prost und Mahlzeit: Kochen, Essen und Trinken helfen gegen politisches Engegefühl und stärken die kritische Urteilskraft. Doch ich frage mich, wie lange es noch geht, bis die sonntägliche Schweinebraten-Pflicht angeordnet wird. Natürlich mit Fleisch aus österreichischer Massenhaltung, deren Tiere in super-sauberen Ställen konzentriert wurden. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich mag Schweinebraten, vielleicht drei-viermal im Jahr, wenigstens aus artgerechter Tierhaltung und biologischer Landwirtschaft. Etwa so, wie bei der Rezeptgeschichte zum „gezupften Schwein“ im Juli. Das arme Schwein kann nichts dafür, dass es von den politischen Schreihälsen im Bierzelt zum Kulturgut hochstilisiert und als Ausgrenzungssymbol missbraucht wird.
Doch heute warten wir mit dem Gegenteil auf: Mit scharfer Kürbissuppe. Auch das noch! Ich halte den Kürbis eigentlich für ein überschätztes Gemüse. So wie den weißen Spargel im Frühling (vielleicht erinnern Sie sich noch an den Juni: Rustikaler Spargelsalat). Der orange Riese schmeckt nicht nach viel, hat wenig Biss und noch weniger Kalorien. Vielleicht sind diese genussfeindlichen Eigenschaften ja sein Erfolgsgeheimnis in einer Zeit, in der der Bauchumfang für viele Menschen mehr zählt, als die Freude am Essen. Gerne habe ich ihn, wenn ihn die Kinder aushöhlen und mit Grimasse und Kerze versehen. Ich schätze auch das Kürbiskern-Öl. Und gelegentlich auch diese süß-sauer-scharfe Kürbissuppe.
Saurer Apfel muss kein Getränk sein
Diesmal habe ich einen Hokkaido-Kürbis verwendet. Er gedeiht gut im Garten und lagert derzeit im Kellergewölbe des Nachbarhauses. Auch andere Speisekürbisse tun ihren Dienst. Dazu gesellen sich zwei leicht saure Äpfel. Und damit meine ich nicht das fragwürdige, süße alkoholische Getränk der 90er, sondern echte Früchte aus dem Garten.
Gleich am Anfang heizen Sie den Backofen auf 200 Grad Umluft vor. Sie wundern sich vielleicht, warum Sie zum Suppenkochen das Backrohr brauchen? Nun, darin werden die Würfel des geschälten und ausgehöhlten Kürbisfleisches mitsamt den klein geschnittenen Äpfeln, ein paar Löffeln Olivenöl, Salz und Pfeffer auf einem Blech für eine halbe Stunde weich gebacken.
Das restliche Gemüse schälen und würfeln Sie ebenfalls und braten es (außer den Kartoffeln) in einem Topf in etwas Öl bei mittlerer Hitze weich. Dazu kommen eine Prise Rohrzucker und zum Ablöschen etwas Apfelessig. Manchmal nehme ich statt Zucker etwas Ahornsirup und lasse den Apfelessig zugunsten eines kräftigen Schusses Weißwein oder Cider beiseite. Hauptsache, etwas Süßes und Saures gesellen sich im ausgewogenen Verhältnis in den Topf.
Anschließend kommen die Kartoffeln und die ofengeschmorte Kürbis-Apfelmischung dazu. Rühren Sie kräftig durch und gießen Sie mit dem Fond auf, den Sie auf einer Neben-Herdplatte erhitzt haben. Darin steckt das Geheimnis für guten Geschmack: Gießen Sie mit gutem Fond auf, wird auch die Suppe gut. Sie rettet damit selbst den langweiligsten Kürbis! Am besten ist Hühnersuppe, natürlich sind auch Gemüse- oder Rindssuppe okay. Dann köchelt alles eine halbe Stunde vor sich hin.
Liebesbrief an die akustische Gitarre
In dieser Zeit können Sie sich der Musik widmen, die Sie bei aller politischen Aufregung wieder ein wenig in herbstliche Harmonie versetzen soll. Für die beiden Alben, die ich Ihnen heute ans Herz lege, haben sich zwei Gitarren-Virtuosen zusammen getan: Der Jazzmusiker Julian Lage und der Bluegrass-Gitarrist Chris Eldridge.
Ihr erstes gemeinsames Album „Avalon“ bezeichneten sie 2014 als „Liebesbrief an die akustische Gitarre“. Warum das so ist, entdecken Sie etwa beim instrumentalen Titel „Butter & Eggs“, den die beiden schon live vor dem Flathead Lake in Montana aufgenommen haben. Die sieben Minuten Lebenszeit sind gut investiert!
Eldridge kannte ich schon eine Weile als Mitglied der „Punch Brothers“, die dank ihres modernen Bluegrass-Sounds schon als „amerikanische Country-Kammermusiker“ bezeichnet wurden. Aber den erst 30jährigen Julian Lage habe ich erst später entdeckt, obwohl er schon mit 13 Jahren bei einer Grammy-Verleihung aufgetreten ist. Sein Umgang mit der Gitarre bei den Solo-Auftritten wirkt, als wären seine Hände nicht von dieser Welt.
Nach „Avalon“ wurde im Vorjahr das zweite Album „Mount Royal“ veröffentlicht, auf dem ich das Anspielen von „Broadcast“ oder „Sleeping By Myself“ empfehle. Bei letzterem erhebt Chris Eldridge zwischendurch auch seine Stimme. Beide Alben von Lage und Eldridge gehören im Probelokal längst zu den Dauerbrennern in Sachen Herbstmusik.
Zurück zur Suppe
Während die Musiker ihre Saiten weiterzupfen, muss ich zurück an den Herd. Denn nachdem das Gemüse eine halbe Stunde geköchelt hat, kommt der Rahm zur Suppe, bevor der Pürierstab Kleinholz daraus macht. Mit etwas Zitronensaft, Currypulver und ein wenig Butter verfeinern Sie die Suppe. Für mich gehört eine Prise Chili darüber, die in diesen politischen Zeiten deutlich kräftiger ausfällt, als sonst. Falls Sie es sehr fein mögen, dann passieren Sie die Suppe noch durch ein engmaschiges Sieb.
Zum Finale kommt es zu einem kulinarischen Persönlichkeitstest. Schaffen Sie es, die Kürbissuppe ganz schlicht und unverschnörkelt zu servieren, so wie auf dem Titelbild? Ohne Kernöl-Spur, ohne Schlagrahm-Häubchen, ohne geröstete Kerne und ohne gehackte Kräuter? Wetten, dass das schwierig wird? Schauen Sie sich einmal die unzähligen Instagram-Fotos unter #pumpkinsoup an – Sie müssen lange suchen, um einen Suppenteller ohne schnörkelige Dekoration zu finden. Aber es lohnt sich zwischendurch einmal, das übersteuerte Foodstyling beiseite zu lassen.
Die satte, orange-gelbe Farbe der Suppe im weißen Geschirr wirkt auch ohne Firlefanz sehr eindrücklich – wie die momentane Herbstsonne. Sunny side up. Klar, am barocken Königshof hätte man mir die Suppe in dieser unvollendeten Form um die Ohren geschüttet. Deshalb habe ich den zweiten Teller mit ein paar Salbeiblättern verfeinert, die ich in Butter kräftig angebraten habe. Auch ein paar klein geschnittene Gemüsewürfel – Karotten, Sellerie, Paprika und Zwiebel – habe ich mitgeröstet und in der Suppe versenkt. Machen Sie es so, wie es Ihnen lieber ist. Vergessen Sie nur nicht, dazu gutes Brot zu servieren, kritisch zu bleiben und Haltung zu zeigen. Gerade jetzt!
Zutaten:1 Hokkaido-Kürbis, dünn geschält (Sie können ihn auch ungeschält lassen), das feste orange Fruchtfleisch in Würfel geschnitten (insgesamt ca. 600-700 Gramm), 2 kleine Äpfel, 2 kleine mehlig kochende Kartoffeln, 2 kleine Karotten und dieselbe Menge Knollensellerie, 2 kleine Zwiebeln, 1 Knoblauchzehe, Prise Rohrzucker, Schuss Apfelessig, Curry- und Chilipulver, 1,5 Liter Hühner-, Gemüse- oder Rindssuppe als Fond zum Aufgießen, 100 Milliliter Rahm, ein paar Tropfen Zitronensaft und ein Stückchen Butter, Salz und Pfeffer. Wer will, verfeinert die Suppe mit klein gehackten, gebratenen Karotten-, Sellerie- und Paprikawürfelchen und in Butter gerösteten Salbeiblättern.Getränk: Cider aus Bio-Äpfeln und -Birnen – am besten ohne zugesetzte Aromastoffe!Musik: Zwei Alben von Julian Lage und Chris Eldridge: „Avalon“ aus dem Jahr 2014, Produzent Kenneth Pattengale, Label Modern Lore Records; und „Mount Royal“ aus dem Jahr 2017, Produzent Gabe Witcher, Label Free Dirt Records
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